Tom Marquardt ist Komponist und Texter. Seine Hits werden von den ganz Großen der deutschen Schlager- und Partyszene gesungen und bringen den Ballermann, Schlagerdiscotheken und Aprés-Ski-Hütten zum Glühen. Beruflich viel unterwegs zieht es ihn immer wieder zurück in „die schönste Stadt der Welt“ – Kempen.
Morgens um acht Uhr macht sich Tom Marquardt mit seiner Gitarre auf, um auf der Tiefstraße von der Hausnummer 26 in die Hausnummer 13 zu gehen. In der Nummer 26 befindet sich seine Wohnung. In Nummer 13 sein Studio. Am Abend gegen 20 Uhr dann der Rückweg. Jeden Arbeitstag. Ein bisschen sei er da eben ein Spießer, sagt er selbst. Bei seinen Nachbarn sorgt das für Erheiterung. Wirft aber auch Fragen auf. Zum Beispiel, warum er seine Gitarre immer bei sich hat und sie nicht einfach in Hausnummer 13 lässt. Eine berechtigte Frage, wenn man weiß, wer Tom Marquardt ist. Ein Komponist und Texter. Zuerst Komponist, dann Texter. „Das ist nicht immer so. Aber bei mir entsteht immer zuerst im Kopf die Melodie. Der Text kommt dann später“, erzählt er. So oder so, Tom Marquardt ist auf jeden Fall beides – und das sehr erfolgreich. Sicher auch wegen seiner Disziplin und weil er ein bisschen spießig ist – was man aber nicht merkt.
In seinem Tonstudio schreibt er Hits für bekannte Künstler der Schlagerszene. Gute-Laune-Musik, tanzbar und zum Mitsingen und Feiern. Ikke Hüftgold, Frank Zander, Costa Cordalis, Bernhard Brink, Michelle und Eloy de Jong singen seine Lieder. Seine Hits verbreiten Spaß, sind oft Ohrwürmer und lassen Schlagerdiscos, den Ballermann und die Aprés-Ski-Hütten beben. Vor der Pandemie war er regelmäßig auf Mallorca zu Gast. Sein Hit „Beate die Harte“, gesungen von Lorenz Büffel feat. DJ Eisbär, war dort 2018/2019 einer der meistgespielten Hits. In erster Linie übernimmt er Auftragsarbeiten für die Künstler und hat einen Exklusivvertrag mit einer Berliner Plattenfirma. Cindy aus Marzahn alias IIka Bessin wünschte sich für ihr Programm ein Lied über ihren Vater aus Toms Feder. Marquardt hat kein Problem damit, über Wunschthemen einen Song abzuliefern, er ist eigentlich ohnehin permanent im Komponier-Modus. „Meine Freundin sagt immer, ich bin 24/7 on fire. Ich bespreche ständig mein Handy mit neuen Ideen“, sagt er. Auch ein Musical steht in seinem Portfolio. Markus Becker, der den meisten durch das Lied „Das rote Pferd“ ein Begriff sein dürfte, hat ihn damals gebeten Lieder zu schreiben, die später zu dem Musical „Katta – das Kindermusical: Die Reise zur leuchtenden Banane“ wurden, mit Reiner Calmund als Sprecher. In die Endauswahl im Pitch für Helene Fischer hat er es ebenfalls schon geschafft.
Viele erfolgreiche Hits des Wendler stammen von ihm, bis dieser schließlich von der Bildfläche verschwand. Dabei hatte Tom Marquardt noch einiges für ihn in petto. Denn kurz vor seinem Absturz, plante Michael Wendler die Hochzeit mit seiner jungen Laura. Alles sollte groß inszeniert und im Fernsehen übertragen werden. Die komplette Musik für die Show hatte der Kempener Liedermacher schon geschrieben. Dann die Absage. „Da hatte sich der Wendler sehr fragwürdig zur Pandemie geäußert und teilweise rechte Ansichten publik gemacht“, erinnert sich Marquardt. Der Sender hat die Show dann gecancelt. Und auch bei dem Kempener Liedermacher hatte der Schlagersänger damit eine Grenze überschritte. Marquardt wollte nicht mehr mit ihm arbeiten. „Bei rechten Äußerungen ist bei mir Schluss. Am Ende hat er mich dann noch über die Bild-Zeitung angefeindet. Aber das war schnell erledigt“, sagt er. Die Liste seiner Erfolge könnte schier endlos fortgesetzt werden. Fast 600 Titel hat er schon geschrieben. Wenn er mit seiner Freundin über die Kirmes in Kempen geht, spielen sie viele Lieder, die von ihm sind. Und viele Menschen singen mit. Das freut ihn sehr. Die Künstler kennt er natürlich und berichtet von tollen Begegnungen und auch witzigen Momenten. Wie von dem Weihnachtslied, das er für Ross Antony komponiert hat – Ostern, mit einem Glas Wein auf der Terrasse. „Meine Freundin hat gesagt, ich soll die Töne höher machen, Ross sei schließlich Musicalsänger, der schaffe das mit seiner Stimme schon“, erinnert er sich. Gesagt, getan. „Monate später steht Ross dann vor mir und fragt mich allen Ernstes, wie er bitte so weit oben rumjubeln soll. Ich habe ihm zu Wäscheklammern geraten“, erzählt er lachend weiter. Das Lied war ein voller Erfolg. Manchmal rufen die Künstler auch bei ihm an, um sich zu bedanken.
Trotz der vielen Erfolge ist er sehr am Boden geblieben. Wer sich mit ihm unterhält, fühlt sich gleich wohl. „Herr Marquardt“ und „Sie“ ist nicht sein Ding. „Tom“ und „Du“ gefällt ihm besser – er ist eben doch kein Spießer. Ist die Vorstellung erst abgehandelt, ist man auch schon mittendrin, in einem Gespräch, in dem man stundenlang zuhören kann, wie er über seinen Werdegang spricht. Man spürt förmlich die Begeisterung für die Musik und die Freude darüber, dass er die Möglichkeit hat, so zu leben. Nur von einer Sache spricht er mit vielleicht noch ein bisschen mehr Begeisterung: von seiner Heimatstadt Kempen. „Ich bin Kempener durch und durch. Ich wohne auf der schönsten Straße der Welt, in der schönsten Stadt der Welt“, sagt er. Durch seinen Beruf ist der Liedermacher viel unterwegs. Doch er kommt immer wieder nach Hause. In die Tiefstraße. Dorthin wo er alle kennt, wo ihn alle kennen. Da, wo gute Nachbarschaft gepflegt wird. Ein Nachbarschaft, die während des Lockdowns so tolle Möglichkeiten gefunden hat, sich trotz Abstandsvorschriften dennoch auf der Straße zu treffen, dass sie es sogar ins Fernsehen geschafft hat. Fit hält sich der Ur-Kempener mit Joggen. Fast jeden Morgen macht er das mit seinen alten Kumpels. Anschließend Kaffee mit der Freundin. „Immer gleich“, sagt er lachend – da ist er doch wieder, der Spießer. Wie alt er genau ist, will er übrigens nicht verraten. Viele bezeichnen ihn als den ewigen Endvierziger. Das Geheimnis um sein Alter könnte nur seine Zwillingsschwester lüften.
In seiner Heimatstadt ist Marquardt zur Musik gekommen. Vielmehr durch seinen Opa. Denn dieser hat ihn mit acht Jahren vor die Wahl gestellt: Schützenverein oder Musikverein. Der junge Kempener entschied sich für Letzteres. Einige Jahre hat er dann im Musikverein St. Hubert Trompete gespielt. Mit 14 tauschte er dann die Trompete gegen die Gitarre. „Mit einer Trompete bekommt man keine Mädchen ab“, erzählt er lachend. Wer ihn in Kempen noch nicht kannte, hat ihn spätestens kennengelernt, als er das Kempen-Lied „Du bist Heimat“ rausgebracht hat. Während der Pandemie hat er die Menschen in seiner Stadt aufgefordert, ihm Fotos und Videos zu schicken. Viele sind dem Aufruf gefolgt. Entstanden ist ein Video mit Lokalpatriotismus und dem entsprechenden Lied – komponiert und geschrieben von Marquardt. Das Lied ist eingeschlagen wie eine Bombe. Mittlerweile wird es auf allen Festen mitgesungen.
Dabei waren die Anfänge ganz weit weg vom deutschen Mainstream. Angefangen hat Marquardt mit Independent-Rock. Und da stand er noch selber auf der Bühne. Bis ihm ein Produzent den Rat gab: „Du musst Deutsch singen.“ Dem Rat ist er, zuerst etwas widerwillig, gefolgt. Und hat schließlich einen begehrten Plattenvertrag bei Sony bekommen. Im Nachhinein stellte sich das allerdings nicht als der große Clou raus, den sich Marquardt davon versprochen hat. Im Gegenteil. „Die wollten mich mit dem Vertrag eigentlich nur kaltstellen“, sagt er. Eine übliche Vorgehensweise, um Musiker zugunsten anderer vom Markt zu nehmen. Den jungen Musiker hat das damals sehr frustriert. „Ich habe lange gebraucht, um aus diesem Loch wieder herauszukommen“, sagt er. Geschafft hat er es. Auch mit Hilfe des Produzenten von Jürgen Drews. Er hat sein Potenzial als Liedermacher erkannt und ihn ermutigt, dass Mikrofon beiseite zu legen und für andere zu schreiben. Er hat ihm auch namhafte Künstler vorgestellt, mit denen er bis heute zusammenarbeitet. Dass jetzt andere seine Lieder präsentieren, macht ihm nichts aus. „Mittlerweile stehe ich lieber mit einem Bier vor der Bühne als darauf“, sagt er.
Text: Nina Mützelburg/Fotos: Patrick van der Gieth