Ulrike Gerards
Dienstags und freitags ist Wochenmarkt in der Altstadt. Auch wenn die Einkaufswelt einen Wandel erfährt – so rasant wie nie zuvor -, scheint hier die Zeit wenigstens kurz still zu stehen. Erlebe Kempen hat dem Wochenmarkt einen Besuch abgestattet.
Moment“, sagt Christian Mannitz. Bevor das Gespräch weitergehen kann, muss er kurz mit anfassen, um den Anhänger eines ankommenden Händlers an den richtigen Ort zu bugsieren. Es ist Freitagmorgen, gegen halb acht, und auf dem Wochenmarkt herrscht schon reges Treiben. Beim Nussmann brutzelt die Pfanne, in der Nüsse frisch geröstet werden. Am Blumenstand werden noch Tulpen und Primeln zurecht geschoben. Am Fleischerei-Wagen hat sich bereits eine erste Schlange von Menschen gebildet. Beim Fisch ist es noch ruhig und Stefan Peuten hat Zeit für ein Schwätzchen mit der Kundin, die begeistert von ihrer Enkelin berichtet. Auch wenn die Sonne noch nicht hoch gestiegen ist, verheißt der blaue Himmel an diesem Freitag im März bereits einen schönen Start ins Wochenende.
Wenn man vollendete Kleinstadtidylle erleben möchte, ist man freitagmorgens auf dem Kempener Buttermarkt genau richtig. Es riecht gut, die Menschen sind freundlich zueinander, man grüßt sich, spricht sich mit Namen an, verabschiedet sich mit Worten wie: „Bis nächsten Freitag.“
Der Wochenmarkt hat eine lange Tradition. Im Mittelalter war er die eine zentrale Möglichkeit zu handeln und Neuigkeiten zu erfahren. Die Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch Bauern, Handwerker, Händler und Kaufwillige aus Nah und Fern kamen, um zu handeln. Heute ist der Wochenmarkt ein Kleinod, das mit einiger Konkurrenz zu kämpfen hat: Supermärkte, Discounter und der besonders seit Corona immer stärker wachsende Online-Lebensmittelhandel. Aus der Region hört man immer wieder von Städten und Gemeinden, in denen sich die Märkte schwertun. Das liegt vor allem am „Händlerschwund“. So wie stationäre Bäckereien und Metzgereien weniger werden, ziehen sich auch Markthändler aufgrund von Nachwuchsmangel oder mit Blick auf die Konkurrenz zurück. In Kempen kann man sich nicht beklagen. Der Wochenmarkt ist gut gefüllt und das Angebot ist groß. Brot und Blumen, Obst und Gemüse, Feinkost, Fisch und Fleisch, Käse, Gewürze und Nüsse sind dort vor allem am Freitag zu finden. Dienstags sind es etwas weniger Stände.
Christian Mannitz von „Gewürze Mannitz“ kommt in ganz Deutschland herum, aber Kempen ist für ihn herausragend. Schöne Wagen, gute und immer wieder neue Produkte, dazu ein gutes Miteinander der Händlerinnen und Händler untereinander und mit dem Ordnungsamt der Stadt Kempen. Es mache viel Spaß, Teil davon zu sein. Freitags steht er mit seinem Stand immer vor dem Falko auf dem Buttermarkt.
Mannitz ist Sprecher des Wochenmarktes, zusammen mit Nina Nothofer von der Metzgerei Nothofer aus Dülken. Auch sie schätzt den Kempener Markt als einen familiären Ort. Die Laune ist eigentlich immer gut. Man kennt sich, tauscht sich aus. Freitags ist meist viel los, für ein Schwätzchen mit den Kundinnen und Kunden ist dienstags etwas mehr Zeit.
Auf dem Wochenmarkt sind alle mit viel Leidenschaft dabei. „Was den Markt ausmacht, ist die Verbundenheit zum Produkt. Die Leute hier können alles über ihre Produkte erzählen“, so Christian Mannitz. Viele hier seien „Überzeugungstäter“. Das wüsste auch die Kundschaft zu schätzen – es sind viele Stammkunden, die immer wieder kommen. Nicht selten weiß Mannitz dann auch gleich, was sie brauchen. Es entstehen schöne Beziehungen untereinander – man unterhält sich, fragt, wie es der Familie geht.
Der Tag beginnt für die Händlerschaft früh. Wenn er um 4.30 Uhr aufsteht, berichtet Christian Mannitz, dann sind seine Kollegen von den Obst- und Gemüseständen schon auf dem Großmarkt.
Die Kempener Markt-Truppe bringt sich sehr aktiv ins Stadt-Leben ein, betreibt eine eigene Facebook-Seite mit Neuigkeiten, Rezeptvorschlägen und mehr. Und sie mischt sich ein. Zum Beispiel, wenn es darum geht, den Buttermarkt für andere Veranstaltungen zu räumen oder auch um Gutes zu tun. Bei einem Benefiz-Markt im vergangenen Jahr, kurz nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs, spendete die Marktgemeinschaft einen Teil des Erlöses an die Aktion „Kempen hilft“. 4.000 € kamen dabei zusammen. Als 2020 der Martinszug wegen Corona ausfiel, schmückten die Markthändler ihre Stände besonders eifrig mit Laternen: „Wochenmarkt meets St. Martin (light)“ war das Motto.
Ende des vergangenen Jahres sorgte ein Schicksalsschlag für große Trauer: Der beliebte Marktmeister Herbert Mohn war überraschend verstorben. Er fehlt noch immer, auch wenn seine Kolleginnen und Kollegen aus dem Ordnungsamt die Aufgaben übernommen haben und das auch gut machen. Die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin bei der Stadt Kempen läuft zurzeit. „Er war ein toller Ansprechpartner. Er hat eine Lücke hinterlassen“, so Nina Nothofer.
Die Wochenmärkte haben in der Corona-Zeit einen regelrechten Boom erfahren. Das sei schon extrem gewesen, erinnert sich Nina Nothofer. Mittlerweile habe es sich aber wieder auf das Vor-Corona-Maß eingependelt.
In Zeiten, in denen alles von Nachhaltigkeit spricht, muss man über den Wochenmarkt reden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Produkte kommen aus der Region, müssen keine langen Wege zurücklegen, was den ökologischen Fußabdruck verringert. Obst und Gemüse sind meist erst mal unverpackt – wer also mit der Einkaufstasche kommt, reduziert Verpackungsmüll. Mit dem Einkauf dort stärkt man die Landwirtschaft in der Region und den lokalen Handel. Nicht selten verzeichnen an Markttagen auch die Geschäfte in der Altstadt größeren Zulauf.
Dazu ist der Markt auch heute noch ein Umschlagplatz für Informationen. Das Umfeld eignet sich hervorragend, um Kontakte zu knüpfen. Spürt man im Supermarkt bisweilen doch schon mal die durch Zeitdruck hervorgerufene Ungeduld des nächsten Kunden im Nacken, so herrscht am Marktstand eher Gelassenheit. „Machen Se in Ruhe. Ich hab Zeit“, hört man da. Nicht umsonst ist der Markt in Wahlkampfzeiten ein beliebter Anlaufpunkt für Parteien. Auch Bürgermeister Christoph Dellmans baut sich dort regelmäßig für sein „Stadtgespräch“ auf, um für die Bürgerinnen und Bürger ansprechbar zu sein.
Wenn man sich das Publikum ansieht, dann kann der Wochenmarkt in Kempen durchaus Zukunft haben. Die meisten Kundinnen und Kunden seien schon älteren Semesters, so Nina Nothofer. Aber auch junge Eltern mit Kinderwagen sieht man oft zwischen den Marktständen. In ihrer Metzgerei geben Nina Nothofer und ihr Team gerne Tipps für ein leckeres Essen und die besten Zutaten dafür – das würden nicht nur die Jüngeren schätzen. Ihre älteste Kundin sei 92 Jahre alt. Übrigens sind nicht nur Menschen gerne auf dem Markt. Auch Vierbeiner sind dort gerne gesehen und können sich dann auch schon mal über einen kleinen Snack freuen.
Fotos: Patrick van der Gieth