Generationen von Kindern sind mit Bibi Blocksberg, Benjamin Blümchen, Die drei ??? und Co. aufgewachsen. Entwachsen sind viele ihrem Zauber nie, denn manche Hörspiele haben auch unter Erwachsenen eine große Fangemeinde.
• Nina Mützelburg
Bibi Blocksberg, die kleine Hexe, kann so manches, wo- von ihr träumt …“ dudelt es aus Kinderzimmer eins hinaus auf den Flur und die Autorin dieses Artikels wird gedanklich in die Vergangenheit katapultiert. Dann ist sie wieder Kind und sitzt auf der Rückbank im Familienauto. Es ist Urlaubszeit. Es geht in den Süden. Neben ihr liegt das absolute Must-have der Kinder der 80er: der Walkman. Mit ihm träumt sie sich in die Welten von Hexen und Detektiven, hilft ihren Freunden per Zauber- kraft bei Problemen und löst Kriminalfälle, während draußen die Landschaft an ihr vorbeizieht. Die Zeit ist unbeschwert schön.
Heute haben die Kinder viel mehr Auswahl. Viel mehr Spielzeug. Die digitale Welt eröffnet der Jugend nun eine Welt der schier unbegrenzten Möglichkeiten. Hörspiele aber haben sich hinübergerettet ins Heute. Mehr noch: Die Titelmelodien von damals sind auch die Titelmelodien von heute. So ergibt sich eine Schnittmenge, in der Kindheiten sich treffen. Die der Kinder der 80er mit der ihrer eigenen Kinder. Kind eins hört zwar Bibi heute nicht mit dem Walkman, sondern mit der Alexa. Und in Kinderzimmer zwei steht statt der Stereoanlage mit Kassettendeck nun die kleine Benjamin-Figur auf der Toniebox. Aber das ist egal. Denn der Kern ist geblieben: Hörspiele sind eine Einladung spannen- den Geschichten zu lauschen, Abenteuer zu erleben und der Fantasie freien Lauf zu lassen. Sie waren und sind eine Einladung zum Träumen.
Für die Kinder von gestern, die heute erwachsen sind, versprühen Hörspiele eine gewisse Nostalgie. Viele, die in der Kindheit Fans waren, sind es bis heute geblieben. Und bilden eine – übrigens sehr große – Gruppe, die ihren Helden treu ergeben sind. Dafür blicken wir vom Niederrhein nach Berlin. Dort lebt Christian Rodenwald. Er hat schon zwei Bücher über die Hörspielserie Die Drei ??? geschrieben. Ein Drittes ist in Arbeit. Benjamin Blümchen waren seine ersten Hörspiele. Als seine Kumpels ihm mit acht Jahren die ersten Folgen der Drei ??? geliehen haben, war es um den heute 37-Jährigen geschehen. Förmlich mit nur einer Kassette haben die Detektive den Elefanten abgefegt. „Das Thema hat mich einfach sofort gefangen genommen. Als Junge wollte jeder so eine Bande haben, wie die Drei ??? eine sind. Das war einfach spitze“, sagt er. Dabei war er anfangs hin- und hergerissen zwischen Faszination und Grusel. „Ich war gar nicht so ein harter Kerl damals. Bei ein paar Folgen musste mein Vater zuerst das Ende hören. Zum Beispiel bei der Geisterinsel. Ich habe mich so gegruselt“, erinnert er sich heute. Er schwärmt von dem, was Hörspiele ausmachen. Nämlich, dass sie eine behütete Welt suggerieren. 214 Folgen plus Sonderspecials hat er auf CD. Zwar hört er heute längst über Streamingdienste, kauft die CDs aber aus Solidarität. Er geht selbstverständlich zu den Live-Veranstaltungen der Drei ???.
Heute bringt er seinen eigenen Kindern die Hörspiele näher. Dann darf auch mal was anderes über den Lautsprecher klingen. Bei den Kleinen Benjamin und Bibi, bei den Größeren TKKG und die Fünf Freunde – auch in den Junior-Versionen. Für Rodenwald reichen sie nicht an die Geschichten um Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews heran. „Die drei ??? sind vielschichtiger als alle anderen. Die Geschichten sind plausibel, subtil und differenziert. Sie laden zum Mitdenken ein und sind nicht so holzschnittartig angelegt wie die meisten anderen“, sagt er. Damit erklärt er sich auch, warum gerade sie sich über eine so große Fanbase unter Erwachsenen freuen können.
Silke Zanetti betreibt das Kindergeschäft Radieschen an der Judensstraße in Kempen. Dort führt sie auch die heute bei den Kindern so beliebten Tonieboxen. Und hat eine Wand voller Tonies.
Da hängen natürlich die momentan gefragten Ge- schichten der Paw Patrol und viele Tonies mit Musik – auch schon für die ganz kleinen Hörer. Bibi Blocksberg, Bibi und Tina, Die drei ???, Hanni und Nanni sowie die Geschichten um TKKG haben den Wechsel von der einstigen Kassette auf die Toniebox unbeschadet überstanden. Ihre Popularität ist ungebrochen. Natürlich liegt das daran, dass die Ge- schichten den Kindern heute noch gefallen. Zanetti beobachtet aber auch, wie die Nostalgie Faktor bei der Kaufentscheidung ist. „Erwachsene fragen häufiger nach den Geschichten aus ihrer Kindheit. Zum Bei- spiel sind Tonies zu den Disney-Klassikern von ihnen stark gefragt. Aber auch Geschichten wie das Sandmännchen und das kleine Gespenst“, sagt sie. Und fügt schmunzelnd hinzu: „Die hören auch keineswegs nur die Kinder. Auch Erwachsene mögen Tonies.“
Besonders beliebt sind momentan auch die Audio- versionen zu den Büchern über die Schule der Magi- schen Tiere und Gregs Tagebuch. Hier – wie auch bei der Paw Patrol und überhaupt bei den meisten Hörspielen – ist die Audioversion eher eine Zweit- verwertung der Bücher oder Serien. Bibi Blocksberg, Bibi und Tina sowie Benjamin Blümchen hingegen wurden ganz ursprünglich als Hörspiele konzipiert. Bücher, Serien und Kinofilme folgten erst später. „Im Bereich der Kindermedien sind Hörspiele und -bücher eine wichtige Säule für uns“, sagt Katrin Steuten, Leiterin der Stadtbibliothek. „Bei den Hör- spielen von früher sind es oft die Eltern, die diese ihren Kindern vorspielen möchten“, sagt sie. Beson- ders beliebt sind bei den Kids, die in die Bücherei gehen, aber auch Sachhörspiele. Zum Beispiel die
Reihen Was ist was? und Wieso, Weshalb, Warum – basierend auf den gleichnamigen Buchreihen – kommen bei den Kindern gut an.
Es sind in erster Linie die Stimmen, die wir für im- mer mit den Hörspielen verbinden. Fast jedes kleine Mädchen würde die Stimme von Bibi unter vielen erkennen. Moana Yücesan wäre gerne der Mensch hinter so einer bekannten Stimme. Daran arbeitet die gebürtige Kempenerin. Sie ist bereits Teil des längsten Hörbuchs der Welt Feraldis Freunde und hat schon für den WDR und den Youtuber Alexi-Bexi gesprochen. Hörspiele sprechen ist eine besondere Herausforderung: „Es ist ein bisschen wie Schauspielern. Der Sprecher kann selber entscheiden, wie er welche Emotionen rüberbringt“, sagt die 21-Jährige. Und wenn alle Rollen gleichzeitig im Studio sind, sei es wie im Theater. Dann herrsche im Studio eine besondere Atmosphäre, bestätigt Patrick van der Gieth von Inside Audio. Seit 17 Jahren be- treibt der Herausgeber von erlebe Kempen das Tonstudio in Kempen und hat schon bekannte Stimmen aufgenommen, zum Beispiel aus Big Bang Theory oder bekannten Comics. Nachdem die Sprecher ihren Teil eingesprochen haben, kommt noch – wenn er nicht zeitgleich im Studio ist – der Geräuschemacher hinzu. Er kümmert sich um alle Hintergrundgeräusche, die die Hörspiele am Ende so lebendig erscheinen lassen und dem Hörer suggerieren, dass man selber mitten im Geschehen ist. Oftmals werden aber auch Geräusche aus umfangreichen Sounddatenbanken genutzt.