„Ich fühle mich total wohl“

Ulli Potofski traf TV-Kultcop Torsten „Toto“ Heim, der mittlerweile in Kempen wohnt, zum Interview.

Ulli Potofski: Bei Toto fällt mir natürlich sofort ein: Der Spitzname kann nur vom Fußball kommen. Ist das richtig?
Torsten Heim: Jaja, ich hatte beim Polizeisportverein gespielt. Und da ich sehr rustikal gespielt habe und in den 90ern der Toto Schillaci ein Torjäger von Italien war und ich so ähnlich aussah, hat mich irgendeiner Toto genannt. Und wenn du einmal einen Spitznamen hast, da kannst du dich nicht wehren. Damit kann ich aber leben.
Mit dem Namen eines Fußball-Weltstars würde ich auch gerne leben. Wie war das damals, wenn man normaler Polizeibeamter ist und auf einmal stürzt die Öffentlichkeit auf einen zu? Wie viele Jahre habt ihr damals insgesamt gedreht?
Fast neun Jahre haben wir gedreht – immer im Spät- und im Nachtdienst. Wir sind ganz unbedarft da rein. Wir hatten ein tolles Team. Die haben gesagt, wir wollen keinen kompromittieren. Wenn keiner will, lassen wir das sein. Blauäugig wie wir waren, sind wir darauf los gefahren und dann kommt Ruhm und Ehre und danach kommt Missgunst und Neid. Aber es war eine tolle Zeit, es hat richtig Spaß gemacht.
Das muss ja alles genehmigt werden. Wie haben die Vorgesetzten darauf reagiert?

Erst wollte das keine Behörde machen – Schalke, Dortmund, Essen. Unser Polizeipräsident hat gesagt: „Wir machen das.“ Und hat gefragt: „Wer macht das freiwillig?“ Vier Wochen lang hat sich keiner gemeldet. Dann hat man in der Pressestelle an mich gedacht, weil ich öfter Öffentlichkeitsarbeit gemacht hatte – dann hab ich gesagt: „Ja gut. Ich frag mal den Harry, ob wir uns das antun sollen.“ Wir haben ja nie Geld dafür bekomme, damals in Uniform. Dann haben wir uns zusammengesetzt, das Dreh-Team kennengelernt, eine Besprechung gemacht, da sagte der Präsident: Und los.
War ja eine gelungene PR-Aktion. Ihr seid ja super rübergekommen.
Ja, wir sind an sich die Urväter der Doku-Soap. Wenn du sieht, was alles nach uns gekommen ist: K11 – die Kommissare, Auf Streife oder Blaulichtreport. Wir waren die Ersten und haben original gedreht. Wir haben nichts gestellt. Außer vielleicht mal einen Funkspruch nachgesprochen. Heutzutage wird ja alles geskriptet. Das ist manchmal nicht so gut, wenn man fernsehguckt.
Nee nee nee, ich kenn mich da aus, das ist wirklich nicht gut. Also, alles originalgetreu. Was war denn eure Lieblingsgeschichte in all den Jahren?
Wir hatten mehrere Highlights. Das musste ja immer alles abgenommen werden: Pressestelle, Datenschützer, Polizeipräsident. Und die haben sich dann auf die Schenkel geklopft und uns gefragt, wo wir die Schauspieler herhaben und wir haben gesagt: „Wir sind nur im Ruhrgebiet Streife gefahren.“ Eine schöne Geschichte war, als wir einen 15-jährigen Autofahrer angehalten haben und in dem Auto saßen zwei Schiffschaukelbremser von der Kirmes, schön stramm mit zwei Promille, und hinten drin saß der Bruder des Halters. Und der hatte die an der Tankstelle kennen gelernt und gefragt: „Sollen wir über Gott sprechen?“ Die drei haben gesagt: „Hau ab jetzt.“ Und er: „Moment, ich geb ne Kiste Warsteiner aus.“ Schon waren die im Rennen. Im Kofferraum war dann eine Kiste Warsteiner und eine Kiste Bibeln. Und dann hat er gefragt: „Wer kann fahren?“ Der 15-Jährige sah älter aus und hat gesagt: „Ich fahr.“ Hatte natürlich keinen Führerschein und ist aufgefallen, weil er Schlangenlinien gefahren ist. Und dann entwickelte sich eine Situationskomik, die man gar nicht nachspielen kann. Der 15-Jährige hat auf der Kirmes in Bochum die Karten auf dem Kinderkarussell eingesammelt. Und ich sach noch zum Schluss: „Harry, ist dir so was schon mal passiert? Da sind wir schon so lange bei der Polizei, aber so was ist uns noch nicht passiert.“ Und da sagt der 15-Jährige: „Mir ist das aber schon mal passiert. Da war ich 14.“ Und da musste ich so lachen über diese Situation. Wir hatten aber viele Highlights.
Wie war das denn, wenn man plötzlich ein berühmter Polizist ist? Musstet ihr Autogramme geben?
Ja, wir hatten immer Autogramme dabei und haben wir immer noch, weil wir auch Botschafter vom Kinderhospiz waren. Aber in der Hochzeit haben die Leute auch bei der Polizei angerufen und wollten uns bei einer Unfallaufnahme oder einer Ruhestörung haben. Das konnten wir natürlich nicht leisten. Wir haben viele öffentliche Veranstaltungen gemacht und versucht, in unserer Freizeit was zu machen. Wichtig ist, dass wir für den Bürger da waren. Es gab sehr viele Rückmeldungen – heute auch noch. Die Kollegen hat es manchmal genervt. Das ist aber auch verständlich.
Du warst bei Harald Schmidt, Johannes B. Kerner, Markus Lanz – was ist dir aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben?
Ich war ganz stolz, dass Anke Engelke mit uns Streife gefahren ist, Freitagnacht in Bochum, volle Lotte im Bermuda-Dreieck. Und es ist nichts passiert. Das war Wahnsinn. Was mir auch haften geblieben ist, ist Barbara Schöneberger – die war super vorbereitet. Die wusste sogar wer Toto und wer Harry ist, das wussten einige nicht. Und beim König Harald Schmidt. Der ist über den Flur geschritten und da war Ruhe. Ein Profi. Ich hatte sonst immer eine große Klappe, aber als ich da in der Tür stand in Uniform – stellvertretend für 40.000 Kollegen in Nordrhein-Westfalen – da war mir dann doch schlecht. Aber er hat uns schön begleitet und es war ein toller Abend.
Ich kenn ihn auch ganz gut. Ein sehr interessanter Mann und manchmal ganz anders als das, was er im Fernsehen dargestellt hat. Bei Markus Lanz war ich auch zu Gast und der Markus hat eine ganz besondere Angewohnheit. Wenn man fertig ist mit dem Talk, wird man zu was gebeten?
Markus fotografiert seine Gäste. Erst wusste ich damit nichts anzufangen, weil ich sein Hobby nicht kannte. Ich hab dann aber einige Fotos von Prominenten von ihm gesehen. Er ist ein sehr, sehr guter Fotograf. Er hat alles aus mir herausgeholt.
Mich hat er auch mal fotografiert. Ich habe das Foto dann mal von anderen abfotografieren lassen. Dann habt ihr ja eine Serie gemacht. Polizeiarbeit in Australien, Thailand, USA …
Nachdem wir mit der Uniform nichts mehr erzählen konnten – das wurde dann auch zu stressig, die Medienlandschaft hatte sich verändert – haben wir gesagt, wir müssen trotzdem weitermachen. Und dann haben wir in einer Bierlaune rumgesponnen: Toto und Harry in Bochum, in Dortmund, in Paris und auf der ganzen Welt. Da hat Kabel 1 gesagt: „Das machen wir.“ Das haben die dann super vorbereitet und wir sind über 2,5 Jahre in unserer Freizeit überall hingeflogen. Das war eine tolle Zeit. Da kommst du so ja nie wieder hin. Wir durften die Kollegen begleiten. Und die haben alle die gleichen Probleme. Drogen, Alkohol, Prostitution, Arbeitslosigkeit und und und. Und wir durften beim SEK in Brasilien Streife laufen. Das war sehr interessant. In Jamaika haben wir am Strand gelegen, aber da hatten wir auch die gefährlichste Reise. Da sind drei Leute vor unseren Augen gestorben. Es war schon sehr schlimm. Da durften wir auch alleine nachts nicht auf die Straße.
Vielleicht mal ein Satz allgemein zur Polizeiarbeit: Hast du das Gefühl, dass die Gesellschaft die Arbeit der Polizei oft nicht richtig wertschätzt?
Ich bin jetzt über 40 Jahre bei der Polizei, über 35 Jahre auf der Straße. Generell haben sich die Zeiten geändert. In den 80er Jahren war der Schutzmann ganz anders. Ich verstehe aber nicht, dass die Polizei heute oft als Prügelknabe der Gesellschaft hingestellt wird. Überlegt mal, was wir alles machen müssen. Die Rechten beschützen, wenn die marschieren, es gilt Versammlungsfreiheit, aber das macht uns auch nicht immer Spaß. Wir müssen zu den Fußballspielen, wo die sich gegenseitig vor den Kopf hauen, das macht uns auch keinen Spaß. Wir hätten vielleicht auch mal Lust, uns ein Spiel anzusehen, davon sehen wir aber nichts. Und und und. Ich glaube, dass wir sehr bürgernah sind und versuchen, Freund und Helfer zu sein. Ich bin froh, dass ich mehrere Leben retten konnte damals. Wichtig ist auch, dass die Leute Vertrauen haben. Meine Meinung ist, dass es vielmehr Bezirksbeamte geben müsste, Kontaktbeamte in jeder Stadt, dann würde einige Probleme sich von selbst auflösen. Denn wenn du einen Ansprechpartner in der Stadt hast, kannst du ihn mit konkreten Problemen ansprechen. Heute ist sehr viel unpersönlich geworden.
In Kempen habe ich ein hohes Maß an Sicherheitsgefühl. Mir kommt es vor, als wenn Kempen noch so eine heile Welt darstellt. Kannst du das bestätigen?
Ja, ich bin ja jetzt schon seit längerer Zeit hier und fühle mich total wohl. Ich habe auch nie das Gefühl, dass hier was passieren kann. Polizei und Bundespolizei sind ja hier um die Ecke. Der Altersdurchschnitt ist anders und du hast auch nicht so Brennpunkte wie in anderen Städten. Es ist sehr schön. Wir treffen uns immer mit einigen bei Tchibo und da höre ich oft, dass sich die Menschen hier sehr wohlfühlen. Und kannst in die Stadt gehen, ohne dass du überfallen wirst und das ist natürlich sehr schön im Alter.
Wir alle haben ja noch Träume und Ziele. Du hast so viel Glück gehabt, hast so viel gesehen. Was sind denn noch deine Perspektiven? Was möchtest du noch gerne erleben?
Erstmal möchte ich noch Opa werden. Dann will ich gesund in die Pension kommen, da hab ich noch anderthalb Jahre. Und dann schreibe ich meine Biografie. Wenn ich das alles noch mal so nachvollziehe, dann bin ich schon sehr zufrieden und glücklich. Und dann werde ich hier meinen Ruhestand genießen, mich hier um meine Leute kümmern, Lesungen machen und gesund bleiben – die Gesundheit ist das wichtigste Gut, das wir haben.
Lass uns damit aufhören: Meinst du, dass Schalke zurückkommt in die Bundeslage?
Ja. Es sieht sehr gut aus. Ich kenne ja viele von den Jungs persönlich. Ich glaube schon, dass Schalke und Werder Bremen wieder in die Bundesliga kommen. Und das ist auch gut so.
Noch ein Satz zum VfL Bochum – die spielen eine starke Saison. Wie schön ist es zu beobachten, dass so ein „armer“ Verein sich gegen die Großen durchsetzen kann?
Das ist Fußball. Du kannst elf Profis haben, die Millionen verdienen, das ist lächerlich, wenn die nicht zusammenhalten. Und in Bochum sieht man, was man aus einer Mannschaft machen kann, wenn man zusammenhält. Das ist eine tolle Truppe, eine tolle Kameradschaft. Da merkt man auf dem Spielfeld, dass jeder für jeden da ist. Wir haben tolle Talente und ich glaube, dass wir dieses Jahr drin bleiben und dann müssen wir mal nächstes Jahr gucken. Es macht auf jeden Fall Spaß zuzusehen. Ich drück dem VfL da die Daumen.
Ich wünsche dir viel Erfolg mit deinem Buch und dass wir uns dann vielleicht mal auf eine Lesung treffen. Vielen Dank!

Fotos: Patrick van der Gieth, Pro Talents – Sports & Entertainment Management