Sie wollen doch nur spielen!

Nach der erzwungenen Corona-Pause geht der Brettspiel Club Niederrhein wieder an den Start. Erlebe Kempen hat in der Burse eine Runde mitgespielt.

„Willst du mitspielen? Setz dich. Wir kennen das Spiel auch noch nicht.“ So schnell kann es gehen und man ist mittendrin in einer fremden Fantasy-Welt mit gescheiterten Existenzen, geheimnisvollen Orten, bizarren Relikten, mit Monstern, die bekämpft werden müssen, und Ressourcen, die es zu sammeln gilt. Nichts weniger als Ruhm und Ehre warten. Es ist Samstagmittag und in der Burse, dem Pfarrheim im Schatten der Propsteikirche mitten in Kempen, sind mittlerweile fünf Tische mit je vier oder fünf Spielern besetzt.
Bunt gemischt ist das Teilnehmerfeld beim Brettspiel Club Niederrhein. Männer, Frauen, von Anfang 20 bis Mitte 50 sind alle Altersgruppen vertreten. Aus Kempen, Mönchengladbach, Krefeld, Wegberg oder Moers kommen die Spielerinnen und Spieler zusammen. Der Willicher Frank Naujoks und der Kempener Stefan Wiezorek organisieren die Runden, die sich zu den Spieletreffs in Kempen und Mönchengladbach-Neuwerk zusammenfinden. Wenn man neu in die Gegend gezogen ist, die Kinder aus dem Haus sind oder man in der eigenen Familie und im Freundeskreis einfach keine Gleichgesinnten für eine Brettspielrunde findet, wenn man gerne etwas Neues ausprobiert, dann ist man hier genau richtig.
So ging es auch Stefan Wiezorek, als er vor drei Jahren von Berlin nach Kempen gezogen ist. Als Unternehmer in der Computer-Spieleentwicklung ist er natürlich auch online spielend unterwegs. Da muss man nicht lange nach Gleichgesinnten suchen. Aber auch für Live-Events am Brett finden sich in der Hauptstadt einfach Mitspielerinnen und Mitspieler. Am Niederrhein war das zunächst etwas schwieriger. Er suchte online, fand Frank Naujoks und war gleich begeistert von dem Treff. Seit dem Jahr 2020 gibt es den Club. Die Corona-Einschränkungen machten aber schon bald nach dem Auftakt Treffen unmöglich. Nun starten die Brettspielfreunde aber wieder voll durch und freuen sich über alle, die dabei sein wollen. Vom Anfängerlevel bis zum Expertenniveau, vom Teilzeitbrettspieler bis zur Vielspielerin ist so ziemlich alles vertreten.

Regelmäßig gibt es offene Treffen in Kempen

Auf unserem Tisch steht das Brett von Vindication, zu deutsch etwa Ehrenrettung. Stefan übernimmt die Spielleitung. Es ist ein wenig, als würde man eine neue Sprache lernen. Da sind die neuen Vokabeln, die unbekannten Regeln. Aber am besten lernt man ja auch eine neue Sprache, indem man einfach losspricht. Und so machen wir es auch. „Wenn das Spiel vorbei ist, hast du es verstanden“, sagt Frank. Und so soll es sein. Der Weg ist das Ziel, wie man so schön sagt. Das Interessante an Vindication: Man weiß zunächst nicht, wann es endet. Denn an besonderen Punkten kommen erst Karten ins Spiel, die das Ende definieren.
Der Brettspiel Club Niederrhein ist kein Verein. Alles ist ganz unverbindlich und zwanglos. Über eine WhatsApp-Gruppe, in der mehr als 50 Menschen sind, tauscht man sich aus. Zwischen 20 und 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen dann bei einem größeren Treffen zusammen. Regelmäßige Treffen sind in Kempen mittwochs ab 18 Uhr und jeden zweiten Freitag (in jeder geraden Kalenderwoche) ab 18 Uhr. Aber es gibt auch kleinere Runden, die sich gezielt verabreden und sich privat treffen. An diesem Samstag Ende April ist es das erste größere Treffen seit Beginn der Corona-Pandemie. Was genau gespielt wird, steht vorher nicht unbedingt fest. Meist gibt es mindestens einen oder eine, die das Spiel schon kennt und dem Rest der Runde erklärt, wie es geht. Viele haben Snacks und Getränke mitgebracht und zu einem Buffet aufgebaut.
Die Brettspiele, die hier gespielt werden, sind sehr vielfältig. Oft werden die Spiele des Jahres ausprobiert. Azul, ein taktisches Legespiel, oder auch Mikromakro, ein Detektivspiel, bei dem man gemeinsam Kriminalfälle löst, Beweise findet und Täter überführt, kann Frank sehr empfehlen. Mit „Siedler von Catan“ hat bei vielen die Begeisterung für das etwas andere Brettspiel angefangen. Mehr als 25 Jahre ist das Spiel alt, das mit seinem variablen Spielfeld aus einzelnen Feldern neue Maßstäbe setzte und mit großer Spieltiefe und zahlreichen Variationen noch heute viele Spielefans begeistert.

Boom in der Spielebranche hält an

Und nicht erst seit Corona gibt es einen regelrechten Brettspiel-Boom in Deutschland. Im vergangenen Jahr setzten die im Deutschen Verband der Spielwarenindustrie als „Spieleverlage e.V.“ organisierten Unternehmen im siebten Jahr ihren Wachstumskurs fort, teilt der Verband mit. 2020 war ein überdurchschnittlich starkes Jahr für Spiele und Puzzle, in dem die Pandemie für die Branche als Booster wirkte. Aber im Jahr 2021 gelang es den wichtigsten Verlagen im deutschsprachigen Raum, trotz der Corona-­Lockerungen noch einmal ein Umsatzplus von vier Prozent im deutschen Markt zu erzielen.
„Brett- und Kartenspiele, aber auch Puzzle und Trading Cards liegen seit Jahren im Trend“, so Hermann Hutter, Vorsitzender des Spieleverlage e.V. „Die Corona-Pandemie hat dieser erfreulichen Entwicklung zusätzliche Nahrung gegeben.“ Und man ist in der Branche überzeugt, dass der Trend anhalten wird, da dies in einer Umfrage von November 2021 bestätigt wurde. 37 Prozent der Befragten wollen Spielen auch zukünftig einen größeren Stellenwert in ihrem Alltag einräumen. Der anhaltende Boom von Gesellschaftsspielen sei kein deutsches oder coronainduziertes, sondern ein globales Phänomen, wie die seit Jahren wachsende Zahl der Verlage und Neuheiten zeige.
Aber was ist gefragt? Der Trend zu kooperativen Spielen, also Spielen, bei denen alle Mitspieler gemeinsam eine Aufgabe lösen und nicht gegeneinander arbeiten, setzt sich weiter fort. Kein Wunder, so der Verband, Teamfähigkeit sei heute schließlich eine Schlüsselqualifikation. Auch der Trend zu Zweier- und Escape-Spielen halte unvermindert an, was die Kenner angesichts der steigenden Zahl der Single- und Zweipersonen-­Haushalte von Jahr zu Jahr ebenfalls nicht überrascht. Besonders gefragt waren im Jahr 2021 erneut Kinderspiele, Kartenspiele und Reisespiele. Familien- und Erwachsenenspiele konnten ihr in den vergangenen Jahren stetig gestiegenes Niveau fast halten. Im Aufwind befinden sich derzeit Krimi-Spiele. In diesem Bereich erweiterten viele Verlage ihr Portfolio, von Detektivspielen bis zu Rätsel- und Krimipuzzeln.
Für die Brettspiel-Fans am Niederrhein ist die Vielfalt am Spielemarkt, die immer weiter steigt, ein Grund zur Freude. Frank Naujoks findet es gut, dass Brettspiele heute auch gesellschaftliche Themen aufgreifen. In vielen Spielen, zum Beispiel im sehr beliebten Fantasy-Spiel „Die Legenden von Andor“, kann man zwischen einer männlichen und einer weiblichen Version von Zwerg, Bogenschütze, Zauberer und Krieger als eigene Spielfigur wählen. Es herrscht Gleichberechtigung auf dem Spielbrett. Spiele wie Arche Nova setzen sich mit dem Thema Artenschutz auseinander.
Brettspieler seien ein netter und stets höflicher Schlag Menschen, berichtet Frank. Wer Lust hat, mal eine Runde mitzuspielen, kann einfach vorbeischauen. Oft gebe es die Sorge, da säßen nur Profis miteinander am Tisch. Aber so ist es nicht. Und Neulingen wird viel Geduld entgegengebracht. Nach der ersten Runde Vindication kann das hier nur bestätigt werden.
Infos und Kontaktmöglichkeiten sind auch online zu finden: www.brettspielclub.com

Text und Foto: Ulrike Gerards