Von der Liebe zum Kickboxen

In den vergangenen Monaten räumten einige Schüler der Kempener Kampfkunst Schule sowohl bei der Weltmeisterschaft als auch bei der Europameisterschaft im Kickboxen ab. Dafür wurden sie im Rathaus von der Stadtverwaltung Kempen geehrt und durften sich ins Gästebuch eintragen. Auch Trainerin Andrea Schnell, ebenfalls preisgekrönt, berichtet über ihre Erfahrungen.

Seit ihrer Kindheit ist Andrea Schnell fasziniert vom Kampfsport. In Duisburg aufgewachsen begann sie als Kind zunächst mit Kung Fu. Sie war unter anderem langjährige „Hu Chuan Pai Kung Fu“-Schülerin und erarbeitete sich 2008 den Meistertitel. Seit acht Jahren ist sie mit ihrer Kampfsportschule in Kempen erfolgreich, die sich seit rund vier Jahren an der Hülser Straße 63 befindet. „Mich hat das Kickboxen immer schon fasziniert, weil es sehr vielfältig ist. Während meiner körperlich fordernden Ausbildung im Kfz-Bereich hatte ich wenig Zeit und auch nicht mehr viel Kraft für Kampfsport und habe deshalb zunächst nur noch Handball gespielt. Nach der Geburt meiner Tochter habe ich dann wieder begonnen, weil ich immer latent wahrgenommen habe: Mir fehlt doch irgendwas!“, erzählt die sympathische Kempenerin.
Das, was ihr gefehlt habe, sei das Ausleben ihrer Liebe zu Kampfkunst und Kampfsport gewesen, stellt sie lächelnd fest und erläutert, dass mit dem Ausdruck Kampfkunst eher eine Lebenseinstellung verbunden sei. „Den Begriff Kampfsport zu benutzen, ist gängiger – er repräsentiert als Sammelbegriff eine Vielzahl von Kampfstilen. In Fachkreisen wird aber ausdrücklich zwischen den beiden Varianten, Sport und Kunst, differenziert.“ Eine klare und deutliche Trennung gebe es allerdings nicht. „Es geht um Selbstfindung, Selbstverteidigung und Selbstschutz. In diesem Sinne ist landläufig auch gemeint, Körper und Geist in Einklang zu bringen.“ Bei der Kunst gehe es um Kampftechniken, aber auch um Standpunkte und Wahrnehmung, wie das eigene Gefühl für den Körper zu schärfen und sich in Selbstdisziplin zu üben. Beim Kampfsport stehe der sportliche Aspekt im Vordergrund. „Hier geht es um einen Ausgleich zum Alltag. Man kann sich auspowern und mit Gleichgesinnten trainieren. Das steht genauso im Fokus wie das sportliche Messen und Duellieren nach festgelegten Regeln. Da muss jeder für sich entscheiden, wo er die Gewichtung im Kickboxen sieht – ob in der Kunst oder im Kampf.“
In ihrer Kampfsportschule stehe grundsätzlich die Gemeinschaft im Vordergrund, betont Schnell, die mittlerweile über 30 Jahre Erfahrung im Kickboxen verfügt. „Wir haben Athleten, die etwas erreicht haben. Viele kommen aber auch, weil sie einfach Spaß am Training mit Gleichaltrigen haben. Die Jugendlichen können sich im Team selbst verwirklichen, ohne dass ständig die Erwachsenen ein Auge drauf haben.“ Im fairen sportlichen Umgang Kräfte zu messen, sei auch gut fürs Selbstvertrauen und für die Identifikation mit Verantwortung. „Nur weil einer besser ist, heißt das nicht, dass er einen Anfänger buchstäblich verhauen darf. Auf diese Idee käme bei uns auch niemand. Respekt ist keine Einbahnstraße. Ich kann nur Respekt bekommen, wenn ich jemandem von Anfang an respektvoll begegne“, betont die Trainerin überzeugt. „Daneben gibt es kein richtig oder falsch. Jeder entscheidet für sich, ob er das Kickboxen als Kampfkunst oder Kampfsport erlebt und weiterentwickelt.“

Dieser wertschätzende und disziplinierte Umgang miteinander trägt seine löblichen menschlichen Früchte, wird aber auch offiziell durch außergewöhnliche Erfolgserlebnisse gekrönt. So durften sich neben der Trainerin weitere fünf Teilnehmer bei der Weltmeisterschaft (WM) in Wales und der Europameisterschaft (EM) in Lübeck über eine Flut von Medaillen freuen. Beim Teamkampf traten sie jeweils als einer von drei Besten aus einem Land gegen die Teams aus anderen Ländern an. Für ihre Leistungen wurden sie deshalb noch einmal besonders von der Stadtverwaltung Kempen geehrt und durften sich, im Rahmen einer kleinen Feierstunde mit Bürgermeister Christoph Dellmans und dem Ersten Beigeordneten Bennet Gielen, in das Gästebuch der Stadt Kempen eintragen.
Die Leiterin der Kampfkunstschule eroberte bei der WM den zweiten Platz, in der Kategorie plus 70 Kilogramm und plus 45 Jahre. Finn Bruno Krause (10) wurde in der Altersklasse bis zwölf Jahre bei der WM mit einer Bronzemedaille im Teamkampf geehrt. Er resümiert: „Ich habe mich sehr gefreut! Mir gefällt vor allem die Spannung: Manchmal liegst du mit deinen Punkten vorne, dann wieder weiter hinten. Besonders aufregend wird es beim Gleichstand, wenn es auf die letzten 30 Sekunden zugeht oder es eine Verlängerung gibt.“
Trainer Leo Josten (19) habe die WM, mit ihrer besonderen Atmosphäre, als unglaublich aufregend empfunden. Er holte die Bronze-Medaille bei den Erwachsenen in der Kategorie Pointfighting bis 70 Kilogramm. „Ich habe selten eine solche Stimmung in einer Halle erlebt. Als ich meinen ersten Gegner besiegt hatte, fiel mir eine Riesenlast von den Schultern, nachdem ich mich monatelang darauf vorbereitet und viel Freizeit geopfert hatte! Als ich auch noch hörte: Du bist auf dem Podium, da habe ich das erst mal selber nicht geglaubt.“ Ursprünglich kommt Leo aus dem Kung Fu mit seiner festen Struktur und einheitlichen Zielen. „Dort geht es um Selbstbestimmung: Man muss ruhige, langsame Stellungen und Kombinationen, teilweise minutenlang, durchleben und aufwändig umsetzen. Jeder misst sich im Vergleich mit den anderen“, erklärt er und schwärmt: „Kickboxen gefällt mir besser; es ist genau das Gegenteil – jeder kämpft, zum Beispiel offensiv oder defensiv, mit Händen oder Füßen, nach seinen eigenen Stärken und mit seinem persönlichen Stil. Diese Abwechslung, mit ihren Herausforderungen, macht mir unfassbar viel Spaß!“ Der Einstieg ins Kickboxen sei in jedem Alter möglich. „Ob drei oder 65 Jahre, jeder kann bei uns beginnen oder seine Kondition verbessern. Wir bieten jederzeit ein Schnuppertraining an.“
Bei der WM gewann auch Andrea Schnells Sohn Nico Leon (14) mit seinem Team in der Altersklasse bis 14 Jahren eine Gold-Medaille. „Mich beeindruckt immer wieder die Atmosphäre bei den Meisterschaften. Es ist immer wieder sehr aufregend. Meine Klassenkameraden haben sich mitgefreut, sie finden es toll, einen Weltmeister in der Klasse zu haben.“ Bei der WM 2017 habe Nico einen US-amerikanischen Freund gefunden, erzählt er strahlend. „Letztes Jahr haben wir uns endlich mal getroffen. Wir haben übers Internet viel Kontakt und tauschen uns auch häufig über den Sport aus.“ Nico schmunzelt. „Ich bin quasi auf der Matte geboren worden. Meine Mutter hat mich von klein auf mitgenommen. Auf der Matte habe ich laufen gelernt und mit rund zwei Jahren angefangen, das Kickboxen nachzuahmen.“
Niklas Jonas Krause (15) war besonders erfolgreich bei der EM: In der Kategorie Pointfighting bis 65 Kilogramm in der Altersklasse bis 17 Jahren holte er Gold. Außerdem sicherte er sich eine Silbermedaille in der Kategorie Karate Kumite sowie eine Bronze-Medaille im Pointfighting bis 60 Kilogramm. „Die Stimmung ist ganz anders, als auf einem normalen Turnier. Ich hatte bei der WM zuvor kein Glück, deshalb habe ich die Teilnahme an der EM als besondere Chance gesehen.“ Für ihn sei das Kickboxen ein Ausgleich zum stressigen Schulalltag. „Ich finde es toll, dass ich mich immer noch steigern kann und im Kampf immer noch mehr erreichen kann.“
Auch Tobias Grulke (10) erkämpfte sich bei der EM eine Goldmedaille in der Kategorie Pointfighting, hier bis 35 Kilogramm, in der Alterskategorie bis zwölf Jahre. „Ich habe mich super gefreut und viel Spaß gehabt! Zuerst war ich sehr aufgeregt, aber nach dem Gewinn natürlich total erleichtert.“ Zweimal die Woche trainiere er regulär und sei eher zufällig zum Kickboxen gekommen. „Ich habe ein paar Sportarten ausprobiert, weil ich etwas zum Auspowern gesucht habe. Das Kickboxen hat mir am besten gefallen!“
Der Anteil trainierender Jungen in der Kampfsportschule betrage rund 80 Prozent, berichtet Schnell. „Es gab auch schon mal Mädchen, die sich für unseren Kampfsport interessierten. Es hat sie dann ein wenig abgeschreckt, dass sie hier überwiegend Jungs gesehen haben“, erinnert sie sich. „Ich habe dann auch schon mal angeregt: Bring‘ doch einfach noch andere Mädels mit. Aber daran haperte es dann auch schon mal, aufgrund mangelnden Interesses im Freundeskreis. Ich kann nur ermuntern und einladen: Bei uns ist wirklich jeder herzlich willkommen, nutzt einfach mal das kostenlose Probetraining!“ Die Kempenerin zitiert spontan lächelnd die philosophische Inspiration für ihre Kampfsportschule durch Mark Twain: „Das Geheimnis des Erfolgs ist anzufangen.“

Text: Susanne Jansen
Fotos: Patrick van der Gieth / Silke Krause