Es war einmal eine Stadt, die war 728 Jahre alt. Ihre Altstadt war umgeben von einer dicken Mauer, die die Menschen über Jahre vor Eindringlingen schützte. Und sie hatte eine alte Burg, die jüngst einen neuen Burgherrn bekam – und noch einige weitere kleine und große Schätze, heute Denkmäler genannt, die es zu behüten gilt …
Kempen ist an vielen Stellen „märchenhaft“. Damit das auch so bleibt, gibt es viel zu tun. Gudrun Holzmann ist im Rathaus der Stadt Kempen erste Ansprechpartnerin, wenn es um die Denkmäler geht. Und davon gibt es immerhin 274 in der Stadt. Großer Denkmalbesitzer ist die Stadt Kempen selbst, 14 Objekte sind in ihrem Besitz und müssen gepflegt werden. Jüngster Neuzugang auf der Liste ist die Kurkölnische Burg. Erst im August nahm Bürgermeister Christoph Dellmans den symbolischen Schlüssel von Landrat Dr. Andreas Coenen entgegen. Die Entscheidung zur Übernahme der Burg durch die Stadt war nicht unumstritten. Doch letztlich hatte der Rat vor vier Jahren mehrheitlich entschieden, das Denkmal nach dem Auszug des Kreisarchivs wieder zu übernehmen. Für Bürgermeister Dellmans ist es eine Ehre und eine Bürde zugleich.
Aktuell gebe es eine Vielzahl an Aufgaben und Projekten, die in der Stadt umgesetzt werden müssen, wie der Sportpark an der Berliner Allee und der Schulcampus. Daher habe die Verwaltung in Abstimmung mit der Politik festgelegt, die Sanierung der Burg aktuell nicht dringlich voranzutreiben. Das bedeute aber nicht, dass die Stadt untätig bleiben werde, betonte der Technische Beigeordnete Torsten Schröder. Die Ergebnisse der ersten Untersuchungen und Begehungen hätten gezeigt, dass an der Burg einiges zu tun ist. „Das ist bei einem historischen Bauwerk mit einem Alter von mehr als 600 Jahren auch nichts Ungewöhnliches“, so Schröder. „Nach dem Auszug des Kreisarchivs haben wir nun die Möglichkeiten, auch durch Bauteilöffnungen die Untersuchungen weiter zu vertiefen, um herauszufinden, welche Maßnahmen für die weitere Unterhaltung, Instandhaltung und für zukünftige Sanierung erforderlich sind.“ In einen Dornröschenschlaf soll die Burg also nicht fallen.
Überraschungen in der Burg? Ein wenig hofft Christoph Dellmans da noch augenzwinkernd auf zwei Tresore, die sich im Inneren befinden, ohne Schlüssel und ohne Ahnung, was sich darin verbirgt. Ein Goldfund könnte natürlich Abhilfe bei der Finanzierung einer Burg-Sanierung schaffen, wie der Bürgermeister schmunzelnd feststellt. Wunder soll es ja auch außerhalb von Märchen manchmal geben.
Jahrhundertfund in der Kapelle in Ziegelheide
Aber zurück auf den Boden der Tatsachen: Die Burg ist nur eines von vielen Kempener Denkmälern. Und mit verstecktem Gold hat Gudrun Holzmann zurzeit außerhalb der Stadtmauer tatsächlich zu tun, nämlich in der Kriegergedächtniskapelle, wenn auch nur in kleinen Spuren. Das Gotteshaus in Ziegelheide, das vom Heimatverein Schmalbroich betreut wird, wurde 1873 als „Maria-Hilf-Kapelle“ gebaut, nach dem Ersten Weltkrieg zur Gedenkstätte für die gefallenen Soldaten. Durch die Andachten, die dort immer noch regelmäßig stattfinden, verrußen die weißen Wände und brauchen regelmäßig einen Anstrich. Zuletzt wurde dabei schnell klar, dass man nun nicht mehr einfach drübermalen könne. Zudem fand man Risse an den Fenstern und es war deutlich: Da muss mehr passieren. Dann die Überraschung. „Wir haben an verschiedenen Stellen der Kapelle Schichten freigelegt, am Dachstuhl, am Chor und an der Wand. Und hinter einer Vorsatzschale fanden wir eine wunderbare Wandbemalung aus dem 19. Jahrhundert. Wir haben verschiedene Farbschichten freigelegt, wunderbare Marmorierungen und sogar Blattgold gefunden“, erklärt Gudrun Holzmann, die von der neu entdeckten Vielfalt begeistert ist. Ein kleiner Jahrhundertfund für die Stadt. Wie genau die neue Farbfassung später gestaltet wird, ist zurzeit noch offen.
Für Probleme an der Kapelle sorgt die Dachkonstruktion. Die Auflagepunkte der Rippen des Daches sind von Feuchtigkeit heftig angegriffen und müssen dringend saniert werden. Dafür mussten diese erst einmal freigelegt, Plisterlatten und Putz entfernt werden, um schauen zu können, wie groß der Schaden ist.
Mächtige Balken für die Mühle
Denkmalpflege – das ist für die Fachleute immer ein Spagat. Wie kann man ein Denkmal möglichst originalgetreu sanieren und gleichzeitig möglichst gut erhalten? Immer wieder auf der To-Do-Liste steht da die Bockwindmühle in Tönisberg. Komplett aus Holz gefertigt und immer der Witterung ausgesetzt benötigt das Denkmal permanente Pflege. „Wir sind froh, dass wir seit einigen Monaten die Unterstützung eines Architekten aus dem Mindener Land haben, der sehr viel Erfahrung im Bereich Mühlen hat“, sagt Christian von Oppenkowski, Leiter des Hochbauamtes der Stadt Kempen. Die Ausschreibungen für die notwendigen Arbeiten laufen nun. An der Mühle müssen einige Holzelemente am Bock und im Mittelteil ausgetauscht werden. „Ich hoffe, dass wir die Holzquerschnitte auch bekommen“, so von Oppenkowski. Schließlich benötigt man unter anderem einen Balken mit den Maßen 60 mal 60 Zentimeter und 5,50 Meter lang. Einen solchen findet man nicht eben im Baumarkt.
Das gilt auch für die Materialien, die man benötigt, um den Berfes instand zu halten. Gut ausgeschildert, dennoch eher versteckt auf dem Raveshof in St. Hubert steht das Denkmal, das früher sowohl als Lagerhaus als auch als Wehrturm diente. Es ist ein Fachwerkhaus der besonderen Art. Das Lehmwerk ist großflächig über die Fachwerkkonstruktion gezogen, wahrscheinlich, um das Gebäude in früheren Jahren vor Angriffen mit brennenden Geschossen zu schützen. Das bedeutet, dass ein Gefach im Berfes etwa achtmal so groß ist wie bei einem gewöhnlichen Fachwerkhaus. Und dieses Material besteht aus Lehm, Stroh und Pferdehaar oder Schweineborsten. Diesen Lehmbewurf können Firmen von heute nicht mehr so einfach liefern. Da fehlt die Erfahrung und es musste viel experimentiert werden, um die besten Lösungen für den Berfes zu finden. Die oberste Schicht besteht aus Kalk. Alle diese Materialien lassen sich mit Wasser zerstören. Und da das Gebäude Wind und Wetter ausgesetzt ist, muss daran auch ständig gearbeitet werden. „Wenn man Denkmalpflege richtig macht, gehört das dazu“, sagt Christian von Oppenkowski. Natürlich könnte man auch von natürlichen Materialien abweichen, um das Denkmal dauerhaft zu erhalten. Aber das wäre dann eben nicht mehr denkmalgerecht.
Martinschule: Denkmalschutz trifft Barrierefreiheit
Die erforderlichen Maßnahmen abwägen wird auch dann besonders wichtig, wenn Denkmalschutz und aktuelle Nutzung zusammentreffen. Für die Stadt ist das zum Beispiel an der alten Martinschule der Fall. Im denkmalgeschützten Altbau wurde bereits das Erdgeschoss saniert, aktuell sind nun die beiden Obergeschosse und das Dachgeschoss an der Reihe. Für den Schulbetrieb muss das Gebäude barrierefrei sein. Gleichzeitig möchte man das Denkmal möglichst originalgetreu erhalten. Daher wird ein Aufzug nun im Inneren gebaut, eine Außentreppe muss aus Brandschutzgründen aber angebaut werden. Dieser Seiteneingang wird daher modern, das dürfe auch bei einem Denkmal so sein, so Gudrun Holzmann. Aber sie freut sich, dass die Modernisierungen mit kleinen Eingriffen umgesetzt werden können, die dem Denkmal auch gerecht werden.
Eigentlich kann man die Kempener Altstadt als ein großes Denkmal betrachten. Denn die Satzung weist die Altstadt und den Ring als Denkmalbereiche aus. Das bedeutet, dass auch Neubauten in und an der Altstadt von der Stadt eng begleitet werden. Denn dann gibt es enge Vorgaben für die Gestaltung. Dazu gehören zum Beispiel die geplanten Neubauten an der von-Broich-Passage an der Ellenstraße und die Post am Moorenring. Das Gesamtbild der Stadt soll weiterhin erhalten bleiben.
Was ist erhaltenswert und was nicht? Wie hoch sollte man in der Altstadt bauen dürfen, damit der pittoreske Charme erhalten bleibt? Immer wieder sorgen diese Fragen für Diskussionen. Seit ihrer Gründung im Zuge der Diskussion um den Abriss des Hauses an der Peterstraße 20 im Jahr 2014, mischt sich die Initiative „Denk mal an Kempen“ kräftig ein. Vor allem der Abriss von alter Bausubstanz und die steigende Bauhöhe im Altstadtbereich sorgen immer wieder für Kritik seitens des Vereins.
Altstadt für die Zukunft aufstellen
Es ist ein ständiges Ringen, will man Denkmalpflege und die Ansprüche an eine moderne Stadtentwicklung übereinander bringen. Seit Juni ist Sabrina Bonney die neue Leiterin des Planungs-, Bauordnungs- und Denkmalamts der Stadt Kempen und sieht darin eine wichtige Aufgabe. Kempen habe schon vieles erreicht. „Der Einzelhandel funktioniert gut, gerade auch im Vergleich zu anderen Städten. Da müssen wir eine Balance finden zwischen Bewahren und Weiterentwickeln, um gut in die Zukunft zu gehen“, so Sabrina Bonney. Das gilt für Themen wie Barrierefreiheit ebenso wie für den Klimaschutz. Dazu gebe es heute viele Möglichkeiten, die sich auch im Denkmalbereich gut umsetzen lassen.
Den Spagat zwischen Nutzung und Denkmalpflege kennen auch private Denkmalbesitzer. Diesen steht Gudrun Holzmann oft bei Fragen rund um den Denkmalschutz vor Verfügung. Themen sind dann zum Beispiel Fassadensanierungen oder auch Möglichkeiten für erneuerbare Energien. Jedes Denkmal ist einzigartig und bedarf der eigenen Betrachtung. Der Kontakt zu den Eigentümern sei aber immer sehr konstruktiv. Sie sei glücklich, wenn sie Hausbesitzer so beraten könne, dass sie Altes erhalten, so Gudrun Holzmann. Die Denkmalbesitzer in Kempen seien sehr sensibel für das Thema. Im Denkmal leben und dieses pflegen, das ist meist schon eine Herzensangelegenheit.
Es kommt aufs Detail an. Das gilt für das einzelne Haus ebenso wie für die Stadt, wo auch die Kleinigkeiten wichtig seien. Bei städtischem Mobiliar, wie der Auswahl von Fahrradbügeln oder Blumenkübeln, wird genau darauf geachtet, dass es ins Gesamtbild der Altstadt passt. Damit Kempen auch noch lange so märchenhaft bleibt.
Text: Ulrike Gerards, Fotos: Ulrike Gerards / Norbert Prümen