Trauer um einen engagierten Kempener

Diese Nachricht war ein Schock in der Stadt Kempen: Am 9. Oktober ist der SPD-Politiker Udo Schiefner gestorben und hinterlässt eine große Lücke. Erlebe Kempen schaut zurück auf ein engagiertes Leben voller Politik und so viel mehr. 

Sein Lieblingsplatz in Kempen, so erzählte es Udo Schiefner anlässlich eines Interviews der Westdeutschen Zeitung zu seinem 60. Geburtstag, sei der Buttermarkt. Im Eiscafé saß er gerne, weil es dort so kommunikativ zugeht. Hier traf der Bundestagsabgeordnete, der viel Zeit in Berlin verbrachte, auf die Menschen seiner Heimatstadt und konnte mit ihnen ins Gespräch kommen. Als einen, der zuhört, der sich für die Menschen und ihre Sorgen interessiert – so halten ihn viele Freunde und Weggefährten in Erinnerung. Am 9. Oktober ist Udo Schiefner im Alter von nur 66 Jahren für viele überraschend verstorben. Die Betroffenheit und die Trauer, Sprach- und Fassungslosigkeit in der Stadt sind groß. Hatte er nicht gerade noch so intensiv vor der Kommunalwahl Wahlkampf gemacht? Ja, hatte er. Wenige Tage vor seinem Tod hatte er noch die konstituierende Sitzung der SPD-Fraktion auf Kreisebene gehalten. Nun ist er nicht mehr da. Das reißt eine große Lücke. 

Viele loben seine Bodenständigkeit, die wohl auch auf seine Biografie zurückzuführen ist. Nach dem Hauptschulabschluss machte er die Fachoberschulreife und eine Ausbildung zum Chemisch-Technischen Assistenten. Auf dem zweiten Bildungsweg folgte ein Fernstudium zum Qualitätssicherungstechniker an der Technischen Fachhochschule Berlin. Diesen Beruf übte er als Leiter der Abteilung Qualitätssicherung in der Oettinger Brauerei in Mönchengladbach viele Jahre aus, bevor er 2013 in den Bundestag einzog.

Schon mit 16 in die SPD

Schon mit 16 Jahren war er in die SPD eingetreten, der schon sein Vater und sein Großvater angehörten. Sein Vater Franz Schiefner war SPD-Fraktionsvorsitzender im Kempener Stadtrat. Der Kempener Heinz Wiegers erinnert sich an die Anfangszeit, in der sie gemeinsam bei den Jusos wirkten und verschiedene Projekte umsetzten. Wiegers war Vorsitzender der Jusos in Kempen, Schiefner stellvertretender Juso-Vorsitzender im Kreis Viersen. So begann eine Freundschaft, die Jahrzehnte halten sollte.

1983 zog Schiefner in den Stadtrat ein und gehörte diesem bis 2009 an. Auch in den Viersener Kreistag wurde er gewählt und blieb dort bis zuletzt. Schulpolitik trieb ihn in der Anfangszeit um, erinnert sich Heinz Wiegers. Die Gesamtschule wurde damals schon diskutiert, für Kempen gab es für diese Schulform mit Blick auf eine starke Hauptschule und eine ebenso starke Realschule allerdings keine Chance – noch nicht. Erst Jahrzehnte später sollte sie kommen. Schon damals, so erinnert sich Wiegers, war Schiefner ein sehr vermittelnder Mensch, der den Ausgleich und pragmatische Lösungen anstrebte. „Er ist da immer bei seinen Werten geblieben.“ Auch wenn sein Gegenüber eine andere Meinung hatte, suchte er das Gespräch. 

Dem Journalisten Axel Küppers, verantwortlicher Redakteur der WZ in Kempen von 1995 bis 2010, sind die Gespräche mit Schiefner aus der Zeit gut im Gedächtnis. „In Erinnerung geblieben ist mir ein Treffen anlässlich des 40. Geburtstags von Udo Schiefner beim Griechen in Tönisberg. Ich habe damals, 1999, bereits gespürt, dass Udo Schiefners politische Kerze an beiden Enden brannte und er kompromisslos die Werte der SPD vertrat. Wir haben viel diskutiert – manchmal wurde es auch lauter, aber nie unsachlich. Bei mir schätzte er wohl die politische Unabhängigkeit und fragte mich häufig nach meiner Meinung.“ Ihre gemeinsame Leidenschaft hieß Borussia Mönchengladbach. 

In Berlin immer im Einsatz für die Region

Von 2013 bis 2025 vertrat Udo Schiefner die Region als Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Seine Heimat, den Niederrhein, die Stadt Kempen und den Kreis Viersen, hatte er immer dabei, suchte immer wieder den Kontakt in die Heimat oder lud Gruppen zum Besuch in Berlin ein. Der St. Huberter Illustrator Moses Pankarz setzte ihn als „Männeken“ ins Bild – mit Trolley und wehender roter Krawatte hin und her pendelnd zwischen Niederrhein und Berlin, zwischen West und Ost, Stadt und Land, Lokal- und Bundespolitik. Zwischen Anlieger-Anfragen aus St. Hubert und Anforderungen der Verkehrspolitik, digitalen Infrastruktur und noch viel mehr. 

In der vergangenen Legislaturperiode war Schiefner Vorsitzender des Verkehrsausschusses und Mitglied im Petitionsausschuss. Das Thema Mobilität war ihm wichtig. Dazu gehörten die nicht immer einfachen und oft langwierigen Entwicklungen des Regionalverkehrs in Kempen und Umgebung, aber auch die Weiterentwicklung des Radverkehrs. Sein großes Netzwerk nutzte er gerne, um für die Region etwas zu erreichen. Ein Beispiel ist die Sportförderung des Bundes, die die Sanierung des Grefrather EisSport & EventParks ermöglichte, oder auch die Entscheidung über die Denkmalwürdigkeit des Zechenturms in Tönisberg, die 2015 per Ministerentscheid aus Düsseldorf entschieden wurde.

Zudem war er Mitglied im Petitionsausschuss, ebenfalls ein Thema, das ihm wichtig war, wie er selbst 2019 in einem Interview mit dem inzwischen verstorbenen Journalisten Eberhard Fehre berichtete. Dort gehen pro Jahr rund 10.000 Petitionen von Bürgern ein. „Das ist eine Art Seismograph, wo ich sehen kann, wie sich die Beschlüsse des Bundes auf die Bürger auswirken“, fasste es Schiefner zusammen. Sozusagen der Buttermarkt des Bundestags. Da wurde er aktiv, auch wenn es manchmal nur vermeintliche Kleinigkeiten waren, „aber für die Betroffenen oft lebenswichtig“, so Udo Schiefner. So wie die Probleme einer Seniorin mit der Krankenkasse. Auch dabei direkt zu helfen, gehörte zu Schiefners Bodenständigkeit.

Udo Schiefner war über Jahrzehnte eine entscheidende Kraft der SPD, prägte seine Partei in Kempen, im Kreis Viersen, am Niederrhein, aber auch die Kempener Stadtentwicklung. „Die Lücke, die Udo Schiefner hinterlässt, ist gravierend und ich weiß auch noch gar nicht, wie wir diese schließen sollen“, so der Kempener SPD-Vorsitzende Stefan Kiwitz. Der Verlust sei eine menschliche Katastrophe und für die Partei ein Schock. So viel Engagement und Loyalität, wie Schiefner gezeigt habe, sei in der Politik heute selten anzutreffen. „Dass ein Bundestagsabgeordneter zurückruft, wenn man aus dem Ortsverein anruft und eine Frage hat, das erlebt man nicht so oft. Ich habe oft seinen Ratschlag in Anspruch genommen“, so Kiwitz. 

„Ein Politiker, wie ihn sich Bürger wünschen“ 

„Er war ein Politiker, wie sich der Bürger, die Bürgerin, einen Politiker immer wünscht. Leider wird dies ja oft nicht so wahrgenommen, was geleistet wird und wie viel Zeit das Anspruch nimmt“, blickt der Kempener SPD-Ratsherr Dr. Detlef Krahé zurück. Für seinen großen Einsatz habe er Schiefner stets bewundert, so der Tönisberger. Auch im kleinen Kempener Stadtteil engagierte sich Schiefner, auch wenn Unterstützungen nicht groß an die Öffentlichkeit drang. Schiefner half, wo er das Bedürfnis nach Hilfe sah.

Aber auch Vertreter anderer politischer Parteien würdigen die Verdienste von Udo Schiefner. Er war von ganzem Herzen Sozialdemokrat, aber einer, der Brücken baute. 

Im Juli 2024 hatte er erklärt, nicht erneut für den Bundestag kandidieren zu wollen: „Diese Entscheidung fiel mir nicht leicht, da ich weiterhin über den Elan und die Kraft verfüge, vieles zu bewegen und zu verändern.“ Die Arbeit im Bundestag sowie der Austausch mit den Menschen würde ihm nach wie vor große Freude bereiten. „Dennoch habe ich immer betont, dass ein Bundestagsmandat eine besondere, aber zeitlich begrenzte Aufgabe ist. Mit Beginn der neuen Legislaturperiode werde ich 66 Jahre alt sein. Ich bin der Überzeugung, dass das Leben mehr bieten sollte als nur politische Arbeit und möchte mich auch anderen Dingen widmen.“ 

Vielseitig war Udo Schiefner interessiert, erzählen Freunde, immer rastlos und voller Tatendrang. Radtouren am Niederrhein, kochen, lesen und Freunde treffen zählten zu seinen Hobbys. Zudem wirkte er in vielen Vereinen, Verbänden und Initiativen: 1984 war er Gründungsmitglied des deutsch-polnischen Freundschaftsvereins Most, war eine Zeit lang stellvertretender Vorsitzende im DJK TuS St. Hubert, Schirmherr des Projektes „Schüler bauen für Haiti“ und noch vieles mehr. 2007 wurde er aufgrund seiner Verdienste rund um die Thomasstadt zum Ehrenleutnant der Prinzengarde Kempen ernannt.

Viele macht es betroffen, dass er sich seinen zahlreichen Interessen nicht mehr widmen können wird. Und die Anteilnahme für seine Familie, insbesondere seine Frau Daniela und seine Tochter, ist groß. 

Fotos: Axel Küppers