Kempen ist seit vier Jahren Mitglied im Bündnis „Mayors for Peace“ – Bürgermeister für den Frieden. Am 8. Juli gibt es zum Flaggentag eine gemeinsame Aktion – auf einem Gelände mit Geschichte in Grefrath.
Ulrike Gerards
Während in Europa der Krieg in der Ukraine weiterhin Leid und Zerstörung bringt und der Nahe Osten durch die anhaltenden Konflikte zwischen Israel, Palästina und nun auch dem Iran nicht zur Ruhe kommt, wird eines immer deutlicher: Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. In einer Welt, die zunehmend von Spannungen, Gewalt und Eskalationen geprägt ist, wächst die Bedeutung jener Stimmen, die sich unermüdlich für Verständigung und Abrüstung einsetzen.
Eine dieser Stimmen ist das Netzwerk „Mayors for Peace“ – ein Zusammenschluss von Städten weltweit, deren Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sich für eine friedliche Welt ohne Atomwaffen engagieren. Ihr Einsatz beginnt im Lokalen, richtet sich aber an die globale Verantwortung: für ein Miteinander, das auf Dialog, Solidarität und dem klaren Nein zu Massenvernichtungswaffen basiert.
Die Organisation „Mayors for Peace“ wurde 1982 durch den Bürgermeister von Hiroshima gegründet – der Stadt, die am 6. August 1945 Ziel des ersten kriegerischen Atombombeneinsatzes wurde. Die Organisation bemüht sich durch Aktionen und Kampagnen, die weltweite Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern und deren Abschaffung zu erreichen. Inzwischen gehören dem Netzwerk mehr als 8.000 Städte und Gemeinden aus 166 Ländern an, in Deutschland sind es mehr als 900 Mitglieder.
Im Kreis Viersen hatte Niederkrüchtens Bürgermeister Kalle Wassong 2018 den Anfang gemacht. Bürgermeister Christoph Dellmans ist als Vertreter der Stadt Kempen im Dezember 2021 der Organisation beigetreten. Das Engagement geht zurück auf einen Beschluss des Stadtrates, der sich, initiiert durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, fast einstimmig für den Beitritt ausgesprochen hatte. „So etwas wie in Hiroshima und Nagasaki darf nie wieder geschehen“, erklärte Bürgermeister Christoph Dellmans dazu. „Stellvertretend für Kempen unterstütze ich gerne die Organisation ‚Mayors for Peace‘, und hoffe, damit einen kleinen Beitrag leisten zu können, dass die Welt möglichst bald von Atomwaffen befreit wird.“
Nun steht der jährliche Flaggentag am 8. Juli an, an dem die Mitglieder die „Mayors for Peace“-Flagge hissen, um an ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes vom 8. Juli 1996 zu erinnern, in dem u. a. die Androhung und der Einsatz von Atomwaffen als Verstoß gegen internationales Recht und die Vorschriften und Prinzipien des humanitären Völkerrechts ausgesprochen wurde.
In diesem Jahr gibt es zum ersten Mal eine gemeinsame Aktion aller Städte und Gemeinden im Kreis zusammen mit dem Kreis Viersen zum Flaggentag, zu der Bürgermeister Stefan
Schumeckers in die Gemeinde Grefrath einlädt – und das geschieht an einem Ort mit Geschichte, der ehemaligen NATO-Kaserne in Vinkrath.
Zwischen 1969 und 1990 war die Kaserne eine sogenannte „Nike-Stellung“, also Teil des Flugabwehrraketensystems Nike, das während des Kalten Krieges zur Verteidigung gegen feindliche Flugzeuge und Raketen eingesetzt wurde. Die Einrichtung war ein Glied im NATO-Verteidigungsgürtel, der sich von Norwegen über die Bundesrepublik bis in die Türkei erstreckte. Zur Grefrather Nike-Stellung gehörten noch eine Feuerleitstelle in Hinsbeck und eine Raketenabschussrampe in der Wankumer Heide. In der Stellung Hinsbeck waren atomare Flugabwehrraketen stationiert. 1969 war das Luftabwehrregiment der belgischen Streitkräfte eingezogen, ab 1991 nutzten die Amerikaner das Areal als Verwaltungseinrichtung.
Belgische Familien zogen nach Kempen
Die Grefrather waren zunächst wenig begeistert vom Bau der Kaserne, wie man im Artikel „12 Jahre belgische NATO-Kaserne in Grefrath“ von Hans Buckenhüskes im Heimatbuch des Kreises Viersen aus dem Jahr 1982 nachlesen kann. Aber mit den Jahren entwickelte sich doch ein gutes Einvernehmen zwischen den Belgiern und der Bevölkerung. Gegenseitige Hilfe und Unterstützung waren an der Tagesordnung, schildert es Hans Buckenhüskes. Erschwerend kam für die Grefrather in der Anfangszeit die Tatsache hinzu, dass die Wohnungen für die Familien belgischer Soldaten im benachbarten Kempen gebaut werden sollten. 1962 beschloss der Kempener Stadtrat über die Ansiedlung von 320 belgischen Familien. Grefrath hatte kein Bauland zur Verfügung, zudem wollten die belgischen Offiziere und Unteroffiziere in einer größeren Stadt wohnen, schildert es der Kempener Historiker Hans Kaiser. Daher erhielt das neu entstehende Wohngebiet im Kempener Norden auch den Spitznamen „NATO-Viertel“. Doch das war erst der Anfang für ein städtebauliches Großprojekt. Als das neue Viertel mit seinen 7.700 Bewohnern 1974 fertig war, hatte Kempens Wohnungsbestand um ein Drittel zugenommen. Die „Neue Stadt“ war entstanden, das heutige Hagelkreuz-Viertel.
Zurück zur alten NATO-Kaserne: Die 70.000 Quadratmeter in der Nachbarschaft des Freilichtmuseums liegen seit Jahren mehr oder weniger brach. Lediglich das Deutsche Rote Kreuz (DRK) Grefrath nutzt eine der Hallen. Seit den 90er Jahren gab es immer wieder Konzepte für das Gelände, doch realisiert wurde bisher nichts. Die Gemeinde Grefrath ist aber im kontinuierlichen Austausch mit dem Eigentümer.
Im Internet findet sich die ehemalige Kaserne vor allem auf Seiten von Lost-Places-Fotografen, also solchen, die verlassene Orte für ihre Aufnahmen suchen. Denn dort finden sich einige Motive. Die 16 Gebäude auf dem Areal, die unter anderem auch ein Kino und eine Kegelbahn enthalten, sind stellenweise heruntergekommen. An vielen Stellen hat sich die Natur die Fläche zurückerobert. Aber auch Graffiti und Vandalismus haben dort Spuren hinterlassen. Allerdings wird vom Betreten des Geländes, das von einem Zaun umgeben ist, abgeraten, denn das ist ohne Genehmigung nicht gestattet. Und einige Lost-Places-Fotografen warnen Kollegen auch vor den Nachbarn, die bei unerlaubten Eindringlichen die Polizei rufen. Zum Flaggentag am Dienstag, 8. Juli, 18:00 Uhr darf man aber gerne vollkommen legal vorbeischauen.
Flaggentag
In diesem Jahr richtet die Gemeinde Grefrath die Feier zum Flaggentag aus und lädt im Namen aller Kommunen im Kreis Viersen und des Kreises dazu ein. Die Veranstaltung findet am Dienstag, 8. Juli, um 18:00 Uhr auf dem ehemaligen NATO-Areal in Vinkrath (Zufahrt über die Natostraße). Gemeinsam soll damit ein sichtbares Zeichen für Frieden, Abrüstung und weltweite Solidarität gesetzt werden. Alle Interessierten sind herzlich eingeladen teilzunehmen.