Plötzlich Prinz und Prinzessin: Seit 11. Januar sind die Eheleute van de Rydt offiziell Norbert I. und Gerda I. – die närrischen Regenten der Stadt Kempen für drei Jahre. Warum das Einkaufen nun auf einmal länger dauert, was sie bis Aschermittwoch und danach so vorhaben, haben sie erlebe Kempen verraten.
Eva Scheuss
Das Wohnzimmer ist noch angefüllt mit Blumen und Präsenten. Vor dem Reihenhaus in St. Hubert haben Freunde als Überraschung einen roten Teppich ausgerollt. Es sind Erinnerungen an die Prinzenproklamation am 11. Januar im Kolpinghaus, die das Ehepaar van de Rydt in den rheinischen Adelsstand erhoben hat. Seitdem regieren sie als Prinz Norbert I. und Gerda I. offiziell die Kempener Narrenschar für die nächsten drei Jahre.
Das Ereignis wirkt noch nach. Sehr aufgeregt seien sie im Vorfeld gewesen. Mit einem eigens umgebauten Bus mit zwei VIP-Sitzplätzen und kleiner Sektbar seien sie abgeholt worden. Dann begann die fast unerträgliche Wartezeit im Restaurantbereich des Kolpinghauses. Der Einzug in den prächtig geschmückten großen Saal des Kolpinghauses unter feierlichen Fanfarenklängen, geleitet von den Mitgliedern des Kempener Karnevalsvereins (KKV), der Prinzengarde samt den Gardepänz und der Funkenartillerie der Freiwilligen Feuerwehr, sei „überwältigend“ gewesen, berichten die beiden. „Wir wussten genau, wo unsere Freunde und Bekannten saßen und haben trotzdem irgendwie nichts gesehen“, erzählt Norbert van de Rydt.
Leben von Session zu Session
Zum ersten Mal trugen sie ihre edlen, in Mülheim an der Ruhr maßgeschneiderten Roben in den Kempener Stadtfarben Rot und Blau. Und dann standen sie auf der Bühne, wurden von ihrem Amtsvorgänger Thomas I. (Härtel), dem Geschäftsführer des KKV, mit den Insignien ihrer Macht ausgestattet. Auf der Bühne zu stehen, im Rampenlicht zu sein, das wird in den nächsten drei Sessionen das Leben des Ehepaars prägen, das es gewohnt war, eher hinter den Kulissen zu agieren. „Wir leben und lieben den Kempener Karneval“, haben sie sich zu ihrem Motto erwählt. Und das ist nicht nur eine Floskel. Die beiden sind dem Kempener Karneval seit Jahrzehnten verbunden und gehören zu den eher stillen, aber umso wichtigeren Akteuren im Kempener Brauchtum.
Über Tochter Judith kam das Ehepaar mit dem Karneval, insbesondere mit dem Tanzsport in Kontakt. Vor 32 Jahren gehörte Norbert van de Rydt zu den Mitbegründern der Kempener Stadtgarde, vor 20 Jahren hoben sie die KG Narrenzunft aus der Taufe. Unter dem Dach der KG findet alljährlich das Niederrheinische Garde- und Schautanzfestival in Grefrath-Oedt mit mehreren hundert Teilnehmern statt. Die KG bildet aktiv im Tanzsport aus. Unter der Federführung von Judith van de Rydt trainieren aktuell fast 70 Kinder im Kempener Campus. Die Teilnahme mit eigenem Prunkwagen und Fußgruppen am Rosenmontagszug war immer eine Selbstverständlichkeit. Und auch die stets ausverkaufte Mädchensitzung im Kolpinghaus wird von der KG Narrenzunft organisiert.
„Wir leben im Drei-Jahres-Rhythmus, von Session zu Session“, bekunden die beiden. Dennoch hatten sie in ihrer bescheidenen Art die Prinzenwürde nie im Blick. So war Norbert van de Rydt dann auch erst einmal etwas perplex, als ihn Anfang 2024 Gottfried Willmen, der damalige KKV-Vorsitzende, beim Prinzenabend im KuBa mit den Worten ansprach: „Übrigens, ich wollte dich am 11.11. zum Prinz ausrufen.“ Da habe er erst einmal schlucken müssen, sagt Norbert van de Rydt im Rückblick. Gerda habe beim Frühstück am nächsten Morgen sofort gemerkt, „dass da etwas im Busch“ sei. Und dann spontan nach der „Beichte“ kundgetan: „Aber nur in Rot-Blau!“ Damit war ihr Einverständnis da und gleichzeitig die Überlegung vom Tisch, sich eventuell in den Farben St. Huberts, also in Gelb und Grün, zu kleiden. Wobei die beiden ihren Stadtteil St. Hubert wirklich sehr lieben und schätzen, wo sie seit 15 Jahren wohnen. Doch gebürtige St. Huberter sind sie nicht. Gerda stammt aus Alt-Kempen, Norbert aus Grefrath-Oedt. 23 Jahre lebten sie in Kempen an der Klosterstraße. Doch St. Hubert wird ausdrücklich mit „Zent Huppert Kaak“ in ihren Helau-Rufen gewürdigt werden.
Mit eigenem Wagen zu 46 Terminen
Das Leben der beiden ist im Moment nur auf den Karneval ausgerichtet. Seit Jahrzehnten arbeiten die beiden 64-Jährigen bei der Kempener Firma
Pfeiffer Chemie-Armaturenbau, Norbert als technischer Redakteur und Gerda als Sachbearbeiterin in der Qualitätssicherung. Norbert tritt am 1. Oktober in den Ruhestand, doch Gerda bleibt weiterhin berufstätig. Ihren karnevalistischen Tagesablauf beschreiben sie wie folgt: „Halb fünf aufstehen, ab sechs Uhr arbeiten, um 14 Uhr zum Friseur, umziehen und dann geht es spätestens um 16.30 Uhr los.“ Automobile Rongen aus Kempen stellt für die ganze Session ein ausreichend geräumiges Fahrzeug zur Verfügung. Zwei Fahrer aus dem Freundeskreis stehen abwechselnd zum Fahrdienst bereit. 46 Termine standen und stehen in der Session vom 11. November 2024 bis Aschermittwoch am 5. März 2025 auf dem Programm. Das Paar samt Gefolge wird Sitzungen, Kindergärten, Schulen, Seniorenheime und Privatpersonen besuchen. Oftmals sind es mehrere Termine an einem Abend.
Ex-Prinz als wichtige Stütze
Ihre wichtigste Stütze ist dabei Ex-Prinz Thomas I. (Härtel) vom KKV, der ihnen als Adjutant zur Seite steht. Er ist ein ausgesprochener Macher, leitet mit Umsicht und einer gewissen Autorität das Geschehen. Und ist anscheinend auch nach drei Jahren intensivstem Einsatz kein bisschen karnevalsmüde. „Das Schönste ist der Meter, den ich jetzt danebenstehe“, sagt er schmunzelnd. Frisch von der Arbeit – er leitet „nebenbei“ noch einen Betrieb für Sanitär und Heizungsbau – kommt er zum Pressetermin, bringt gleich die druckfrischen neuen Festschriften zur aktuellen Session mit, in die er sehr viel Arbeit gesteckt hat. Die Drei können gut miteinander. „Wir kennen uns seit 33 Jahren, da habe ich mich einfach reingebucht“, sagt Thomas Härtel. Und auch wenn er planerisch die Zügel in der Hand hält: „Jedes Paar muss das Amt auf seine eigene Art und Weise ausfüllen“, findet er.
Zusätzlich zum zeitlichen Aufwand kommt auf das Prinzenpaar auch ein nicht unerheblicher finanzieller Einsatz zu. Da ist erst einmal das Ornat, das im vierstelligen Bereich liegt. Und auch die Kosten für das Wurfmaterial für den Rosenmontagszug 2026 sind enorm. Hinzu kommen die Prinzenorden, den die beiden selbst entworfen haben. Der zeigt in seiner Mitte das Kempener Stadtwappen, auf dem zwei freche Narren in Rot und Blau sitzen. An den Seiten befinden sich die Wappen von Tönisberg, St. Hubert und Schmalbroich. „Die sechs kleinen Kugeln symbolisieren die Kempener Honschaften“, erläutert Norbert van de Rydt. Das verbindende Element des Karnevals liegt ihnen am Herzen. Nicht nur zwischen den Stadtteilen, sondern auch zwischen Menschen. „Egal, ob Jung oder Alt, Reich oder Arm, welcher Religion und Herkunft – Karneval ist für jeden da“, hatte der neue Prinz in seiner Antrittsrede bei der Prinzenproklamation verkündet. Ein Prinzip, das sie auch in der Arbeit mit den Kindern in den Tanzgarden leben. Niederschwellig und unkompliziert bietet sich hier ein Zugang gesellschaftlicher Teilhabe für Familien mit sehr unterschiedlichem Hintergrund.
Die Bekanntheit des Ehepaars hat schon zugenommen. „Beim Einkaufen sprechen mich fremde Leute an und bekunden, wie toll sie es finden, dass wir das Amt übernommen haben“, berichtet Gerda. Da kann dann der Einkauf auch schon mal etwas länger dauern. Und ob es denn nach Aschermittwoch zur Erholung in den Urlaub gehe? Die beiden schauen erst etwas ratlos. „Nein, unser Urlaub ist eh aufgebraucht und dann beginnt der Bau der Prunkwagen für den Rosenmontagszug“, bekunden die beiden. Merke: Nach der Session ist vor der Session.
Foto: Norbert Prümen