Die gebürtige Kempenerin Birgit Orths kommt zu einer Lesung am Donnerstag, 31. Oktober, zurück in die Heimat. Ihr Buch „Als Steuerfahnderin auf der Spur des Geldes“ hat deutschlandweit Wellen geschlagen – und sie zur gefragten Gesprächspartnerin gemacht.
Ulrike Gerards
Der Name Al Capone ist allgemein bekannt, das Bild des Mannes mit Fedora-Hut und Zigarre ikonisch. Den Namen Frank J. Wilson haben dagegen wohl die wenigsten schon einmal gehört. Er war der Mann, der half, den berüchtigtsten Gangster aller Zeiten hinter Gittern zu bringen. Aber nicht wegen Alkoholschmuggel, Bestechung, Drogenhandel oder gar Mord. Sondern wegen Steuerhinterziehung.
Frank J. Wilson galt als besonders hartnäckiger Steuerfahnder, der auf der Suche nach einem Hinweis stundenlang Akten wälzte. Schließlich wurde sein Fleiß belohnt, denn in einem Kontenbuch für illegale Glücksspiele, in dem die Gewinne der Teilnehmer eingetragen wurden, tauchte auch ein gewisser „Al“ auf. Das war der Anfang. Im Oktober 1931 verurteilte ein Gericht Al Capone zu elf Jahren Haft wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Geldwäsche.
„Folge der Spur des Geldes“ ist also eine mindestens über 90 Jahre alte Erkenntnis der Kriminalitätsbekämpfung, die man sich aber auch heute nicht oft genug in Erinnerung rufen kann. Dies tut zurzeit eine gebürtige Kempenerin ziemlich erfolgreich – und das deutschlandweit. Birgit E. Orths (59) hat das Buch „Als Steuerfahnderin auf der Spur des Geldes. Wie Kriminelle und Fehler im System uns Milliarden kosten“ geschrieben und es damit auf die SPIEGEL-Bestseller-Liste geschafft. Sucht man ihren Namen in den Online-Nachrichten, findet man eine illustre Reihe großer deutscher Medien: WDR, Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung, Der Spiegel, Frankfurter Allgemeine Zeitung – sie alle berichten über die gebürtige Kempenerin. Für TV-Produktionen und Dokumentationen wird ihre Expertise eingeholt. Denn sie hat mit ihrem Buch einen Nerv getroffen. Jedem halbwegs ehrlichen Steuerzahler stellen sich beim Lesen permanent die Nackenhaare auf.
Auch wenn es auf wahren Begebenheiten beruht, ist es eher ein packender Krimi als ein Sachbuch. Man lernt dazu eine Menge Hintergründe zu Umsatzsteuerbetrug, Korruption, Geldwäsche oder CumEx. Dass das vielleicht auf den ersten Blick dröge wirkende Thema Steuerfahndung so gut ankommt, ist aber auch Birgit Orths’ gutem Storytelling zu verdanken.
Katz-und-Maus-Spiel mit dem Kriminellen
Aber wie kam es zum Buch? Da die Steuerfahndung keine eigene Pressestelle habe und das Steuergeheimnis oft im Weg stehe, komme das Thema kaum in den Medien vor, schreibt sie in ihrem Buch. Das sei aber dringend notwendig. Zudem, erzählt sie im Gespräch mit erlebe Kempen, sei der Beschuldigte dieses speziellen Falls, den sie im Buch ausführlich beschreibt, unglaublich faszinierend gewesen. Der Kopf hinter einem komplexen System des Umsatzsteuerbetrugs heißt im Buch Sayed Ahmadi. Einen „sympathischen Drecksack“ nennt ihn Birgit Orths. So jung, zu seinem ersten Strafverfahren musste er noch gefahren werden, weil er keinen Führerschein hatte. Und so clever, dass er ein Geflecht von Unternehmen verwaltete und so zum Multimillionär aufstieg. „Ich habe mir immer gedacht: Was da ein Potenzial an Energie und Intellekt verloren geht. Wenn der nur auf der anderen Seite stehen würde…“, so die Ermittlerin. Das Katz-und-Maus-Spiel, das sich zwischen ihnen entwickelte, wollte sie unbedingt aufschreiben. Auch als Vergangenheitsbewältigung, aber gut getan habe ihr das nicht. Im Gegenteil, beim Schreiben merkte sie erst so recht, was sich ändern muss, damit die Behörden effizienter arbeiten können. So wurde das Buch auch eine Anklageschrift für ein System, das dringend besser werden muss, um mit der organisierten Kriminalität Schritt halten zu können.
Sie gelangte über Kontakte an einen Lektor und über diesen an einen Verlag, der zunächst ein Exposé verlangte und daraufhin zusagte. Die Deadline war gesetzt. Nun hieß es schreiben, neben der Arbeit, abends und nachts, viele private Dinge mussten zurückstehen. „Ich war im Flow.“ Sie habe ein gutes Gedächtnis, sagt sie. „Das ist Segen und Fluch. Ich kann mir alles merken. Ich kann aber nichts mehr vergessen.“
Birgit Orths, die heute in Düsseldorf lebt, ist in St. Hubert aufgewachsen und auch heute immer gerne in der Stadt Kempen zu Besuch. Nach dem Abitur hat sie ihre Ausbildung beim Finanzamt Kempen begonnen und dazu an der Hochschule für Finanzen in Nordkirchen studiert. Die Frage, ob man zur Steuerfahndung geht, stellte sich in der Ausbildung nicht. Der Bereich kam gar nicht vor.
Die Steuerfahndung ist Teil der Finanzverwaltung, aber auch Strafverfolgungsbehörde wie die Staatsanwaltschaften und die Polizei. Sie kann Wohn- und Geschäftsräume durchsuchen oder Zeugen und Beschuldigte vernehmen.
Mit Pfannkuchen überführt
Das Personalentwicklungskonzept sehe vor, dass die jungen Finanzbeamtinnen und -beamten in die verschiedenen Bereiche hineinschnuppern. Mit der Steuerfahndung kam Birgit Orths zum ersten Mal in Kontakt, als sie in der Abteilung Betriebsprüfung war und einen Gastronomiebetrieb prüfte. „Ich konnte da noch nicht so gut kochen, aber ich wusste schon, dass in einen Pfannkuchen nicht zehn Eier und 400 Gramm Mehl reinkommen“, erinnert sich Birgit Orths. Sprich: Man hatte für die Abrechnung die Zahl der verkauften Pfannkuchen reduziert, die Ausgaben für den Wareneinkauf aber nicht. „In der Betriebsprüfung gab es einen Steuerfahnder, der bestätigte mir: Klarer Fall für einen Anfangsverdacht.“ Ihr Interesse war geweckt. 1998 bewarb sie sich für die Steuerfahndung und mittlerweile ist sie seit über 20 Jahren Kriminellen auf der Spur. Dafür absolvierte sie einen sechswöchigen Lehrgang zu Strafrecht, Vernehmung, Deeskalation und ähnlichem. Ideal ist das aus ihrer Sicht so nicht. Schon in der Ausbildung müsse die Steuerfahndung eine Rolle spielen und dann die Zusammenarbeit mit der Polizei besser verankert werden. „Hospitationen bei der Polizei zum Beispiel gibt es, die sind aber eher freiwillig und personenabhängig. Das müsste festgeschrieben werden“, findet Birgit Orths.
Auch bei den Juristen sei das Steuerrecht meist leider nicht sehr gefragt. Dabei sei es sehr spannend. „Bei vielen Verfahren des Landeskriminalamtes, sei es zum Beispiel Staatsschutz oder Drogendelikte, geht es gar nicht ohne Steuerhinterziehung. Und diese ist dann oft das Verfahren, das am Ende übrigbleibt. Denn vieles andere kann am Ende nicht bewiesen werden. Steuerhinterziehung ist aber so leicht nachzuvollziehen“, sagt Birgit Orths. Siehe: Al Capone.
Das kriminalistische Gespür hat sie sich dann vor allem durch die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen der Polizei antrainiert. Das lässt sich schon gar nicht mehr abschalten. Wenn sie durch eine Fußgängerzone geht, hat sie ein gutes Gespür dafür, wo etwas nicht stimmt.
Im Januar 2023 ist ihr Buch herausgekommen und seither ist sie von vielen Seiten gefragt. Denn auch politisch bietet es einige Brisanz, zeigt es doch klare organisatorische und strukturelle Schwächen auf, die Ermittlern das Leben schwer machen – und den Kriminellen ihr Handwerk erleichtern. Wenn sie davon berichtet, dass Grundlegendes wie mobile Festplatten für die Unmengen an Daten oder Sturmhauben für Durchsuchungen fehlen, muss man den Kopf schütteln. Für Birgit Orths steht fest, dass man den Job in der Steuerfahndung attraktiver machen muss, um mehr Kolleginnen und Kollegen dafür zu gewinnen. Die Arbeit ist länger, schwieriger, gefährlicher, daher müsse man Anreize schaffen.
Lob vom ehemaligen Minister
Es gibt viele Anfragen aus der Politik, quer durch alle Parteien, die wissen wollen, wie man Geldwäsche effektiver bekämpfen kann. Und es gibt Lob. Zum Beispiel vom ehemaligen NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans, der per X, vormals Twitter, lobte, dass Birgit Orths die „für uns alle so wichtige Arbeit so spannend dargestellt hat“.
In der Öffentlichkeit wird Steuerfahndung oft mit großen Namen in Verbindung gebracht: Uli Hoeneß, Boris Becker oder Alfons Schuhbeck fallen einem gleich ein. Besserinformierten ist vielleicht auch der Cum-Ex-Skandal ein Begriff. „Im Umsatzsteuerbetrug sind die Schäden aber viel höher – und das läuft weiter“, so Birgit Orths. Da entgehen dem Staat Milliarden, die für Kita-Ausbau, Bildung, Straßen, Brücken und andere öffentliche Belange eingesetzt werden könnten.
Was tun? Von der Politik gibt es Bemühungen. In Nordrhein-Westfalen hat das Landesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität (LBF NRW) zum Start ins neue Jahr in einem Interimsgebäude in Düsseldorf seine Arbeit aufgenommen. Zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche brauche man vernetztes Arbeiten, kurze Wege mit effektiven Abstimmungsprozessen, optimale Schnittstellen über Ressort- und Landesgrenzen hinweg sowie modernste digitale Ermittlungsmethoden – „dafür schaffen wir mit dem neuen LBF NRW die Grundlage“, sagte NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk zum Start.
Der Plan klingt schon mal gut. Aber reicht das, was getan wird? Aus aktuellen politischen Diskussionen will sich Birgit Orths lieber etwas herausziehen. Es gebe durchaus eine Lobby für das Thema. Vereine wie Finanzwende, Netzwerk Steuergerechtigkeit oder mafianeindanke engagieren sich für politische Veränderungen. Diese zu unterstützen sei durchaus sinnvoll. Doch schon in ihrem Buch war die Kritik ja deutlich. Das kam nicht überall gut an. „Bei mir direkt ist nichts angekommen. Aber von anderen hört man ja was. Mein Freundeskreis in den Führungsebenen hat sich nicht gerade vergrößert“, sagt sie schmunzelnd. Unterkriegen lässt sie sich davon nicht. Die Idee und die ersten Seiten zum nächsten Buch stehen schon. Diesmal wird es im Stil etwas anders werden, deutet die Autorin bereits an.
Aber auch für Freunde und Familie waren die Beschreibungen in ihrem ersten Buch überraschend. Stellenweise wurde es für sie ja ziemlich gefährlich. Sie wurde verfolgt, ihr Auto angezündet. „Meine Mutter war entsetzt“, erzählt Birgit Orths. Einige in ihrem Umfeld hätten sie nach der Lektüre besser verstanden. Dass sie zum Beispiel recht oft umzieht. Im Alltag dürfe man viele Dinge aus dem Job gar nicht erzählen.
Auf der „Schreiwiese“
Von einem Journalisten habe sie schon die Verwunderung vernommen, dass sie es als Steuerfahnderin wage, ein Buch unter eigenem Namen und mit Bild auf dem Cover herauszubringen. Da macht sie sich aber keine Sorgen. Heute sei man nicht mehr als Einzelkämpfer unterwegs, sondern als Team. Einzelne Ermittler auszuschalten, bringe da nichts.
Den Reiz des Buches macht auch aus, dass Birgit Orths einige persönliche Einblicke gewährt, in brenzlige Situationen, in Ängste und Gefühle von Überforderung, wenn sie auf ihrer „Schreiwiese“ Dampf ablässt oder für den Kollegen „Aksel“ schwärmt.
Das Menschliche nimmt einen immer wieder mit, wenn es mal zu trocken wird. Keine Frage, das Thema ist komplex – der spezielle Fall um Sayed Ahmadi besonders. Unzählige Namen, Firmen, Verbindungen, Verwandtschaftsverhältnisse und Geschäftsbeziehungen – wenn einem beim Lesen schon mal der Kopf schwirrt, lässt es einen nur noch besser erahnen, wie kompliziert, fordernd, nervenaufreibend die Ermittlungen sein müssen. Gut, wenn es dann auch mal etwas zu lachen gibt. Das passierte Birgit Orths, als sie sich durch seitenweise Chat-Verläufe ackerte. Der Strippenzieher hinter allem, der im Buch ja Sayed Ahmadi heißt, ist im Chat mit mehreren Personen, die ihn ansprechen mit, na klar, „Al Capone“.
„Auf der Spur des Geldes“
Das Buch „Als Steuerfahnderin auf der Spur des Geldes. Wie Kriminelle und Fehler im System uns Milliarden kosten“ ist im Verlag Econ erschienen. Es liegt mittlerweile in der dritten Auflage vor und kostet 19,90 €.
Die Autorin Birgit Orths kommt zu einer Lesung nach Kempen, am Donnerstag, 31. Oktober, 19.30 Uhr, Kulturforum Franziskanerkloster an der Burgstraße 19. Eine Kooperationsveranstaltung der VHS des Kreises Viersen mit dem Förderverein der Stadtbibliothek Kempen. Karten à 10 € gibt es bei der Volkshochschule des Kreises Viersen:
www.kreis-viersen-vhs.de
Foto: Lucretia Althabe, Berlin