Ruhe in Frieden, du Räuber!

Am 1. Juli 2024 ist ein Mensch gestorben, der ein Stück Kempen war. Ferdinand „Ferdi“ Küsters ist im Alter von 86 Jahren friedlich eingeschlafen. Hunderte Menschen bekundeten im Internet ihre Trauer, wollen ihm gar ein Denkmal setzen. Ein Nachruf auf einen besonderen Kempener. 

Ulrike Gerards

Schon einige Wochen hatte man ihn nicht mehr in der Altstadt gesehen. Anfang Juli hat dann die Endgültigkeit des Abschieds viele Kempenerinnen und Kempener traurig gemacht: Ferdi wird nie wieder seine Runden durch die Altstadt drehen. Es fehlt etwas. Ferdi war etwas Besonderes, denn er stach aus der Masse heraus, er fiel auf. Legendär waren seine Sprüche, aber vor allem auch sein Wissen, seine Prognosen, sein siebter Sinn sozusagen. Unzählige Geschichten gibt es in der Stadt über Brände, Zugausfälle oder defekte Leitungen, die er treffsicher -vorhergesagt oder zugeordnet hat. Zugegeben, er hatte einige Prognosen abgegeben und wenn eine dann mal nicht zutraf, sei es nun über das Wetter, die Kirmes oder die Stadt Kempen, die zumindest bis zum Redaktionsschluss noch nicht zugemacht wurde, dann deckt man darüber natürlich gerne den liebevollen Mantel des Schweigens. 

Mit seiner polternden Art, die viele mochten, die aber durchaus auch Menschen verschrecken konnte, war er ein Kempener Original. In den Altstadtstraßen erkannten sich Kempener am wissenden Lächeln, wenn auswärtige Besucher irritiert auf den kleinen Mann mit der lauten Stimme schauten. Ferdi war auch immer eine Art Spiegel seines Gegenübers. Begegnete man ihm herzlich und freundlich, so bekam man dies auch zurück. Wurde er dagegen geärgert, konnte er auch ungemütlich werden. 

Am 22. Oktober 1937 kam Ferdinand Küsters zur Welt. Bei der Geburt hatte es Probleme mit der Luftzufuhr gegeben, sodass es für ihn, als er älter wurde, nicht möglich war, einen Beruf zu erlernen. Er wurde auf dem Hof seiner Großeltern im Kempener Süden groß, wo er zusammen mit seiner Mutter lebte. Ferdi besuchte die Volksschule und arbeitet danach an verschiedenen Stellen, wo jemand für einfache Arbeiten gebraucht wurde. Der Hof wurde aufgegeben, als die Großeltern starben und Ferdi zog mit seiner Mutter in ein Haus an der Neustraße in der Altstadt. Seine Mutter war für Ferdi ein besonderer Ankerpunkt. Im Jahr 1999 starb sie. Zunächst blieb Ferdi im Haus auf der Neustraße. Betreut wurde er dann von seiner Cousine und ihrem Mann.  

Er sei immer versorgt und gut aufgehoben gewesen. Wobei es schwer war ihn „aufzuheben“, erzählte Pfarrer Wolfgang Acht bei der Trauerfeier für Ferdi. Denn er hatte diesen enormen Drang nach draußen zu kommen, unterwegs zu sein. Er war korrekt. Wenn der Besen an einer anderen Stelle stand, bat er darum, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Seine Ordnungsliebe ließ ihn jede Abweichung vom Gewohnten als Störung empfinden – sei es nun in seinem Zuhause oder in seiner Altstadt. Wohl auch ein Grund, warum er sich immer wieder lautstark zu Wort meldete, wenn etwas in Unordnung war. 

Unvergessen und gerne zitiert sind seine „Einsätze“ zur Herstellung der Ordnung zu St. Martin oder Karneval, zur Kirmes, bei Baustellen oder Feuerwehreinsätzen. Auch wenn man ihn gut loswerden konnte, indem man ihn aufforderte, doch auch mal die Schippe in die Hand zu nehmen, wie Weggefährten schmunzelnd berichten. 

Das Laufen bestimmte lange seinen Tag. Dann kam er manchmal auch bis nach Wachtendonk oder Viersen, an der Niers entlang, manchmal so, dass er mit dem Auto eingesammelt werden musste. Einmal wurde er sogar mit dem Hubschrauber gesucht. Nach einer Krankheit konnte er seinen Haushalt nicht mehr selbst versorgen und zog im Jahr 2016 in das Von-
Broichhausen-Stift.

Da war Ferdi schon lange eine Berühmtheit in seiner Heimatstadt. Die Lokalzeitungen berichteten gerne Neues von Ferdi. Nicht zuletzt durch seine Besuche in der Geschäftsstelle der Westdeutschen Zeitung war er immer präsent. Als die Sozialen Medien Fahrt aufnahmen, durfte auch Ferdi nicht fehlen – zwar nicht aktiv, aber seine Fans fanden sich zusammen. Schon im ersten in Deutschland größeren Sozialen Netzwerk studiVZ gab es eine Gruppe „Ferdi für Deutschland – Fanklub für Ferdi aus Kempen“ mit mehr als 500 Fans, wie die WZ im August 2010 berichtete. Auf der Plattform Facebook sammelte „Ferdi aus Kempen“ bisher 3.116 „Gefällt mir“-Angaben. Politiker und andere lokale Promis posteten gerne Bilder mit ihm. Auf Plakaten von Kempen taucht Ferdi gerne mit seinen typischen Merkmalen, der Mütze und den Hosenträgern, auf. Zur Feier seines 80. Geburtstags strömten Vertreter von Politik und Verwaltung, Vereinen und Wirtschaft in das Seniorenheim am Heyerdrink. 

Bei der Gedenkfeier für Ferdi kurz nach seinem Tod in der Christ-König-Kirche im Kempener Norden, zu der rund 80 Gäste kamen, machte Bürgermeister Christoph Dellmans deutlich, was Ferdi für die Stadt und ihn persönlich bedeutet hat. Früher sei er jeden Tag in sein Büro genommen. „Kempen wird zugemacht“, polterte er dann unter anderem. „Jeder im Rathaus war manchmal genervt von seiner polternden Art, jeder liebte Ferdi jedoch und es wurde gleich nach ihm gefragt, wenn er mal ein paar Tage nicht da war.“ Und jeder hörte ihm zu, wenn er einen Schaden meldete. Wenn er mal von den Kids zur Kirmes geärgert wurde, konnte er fuchsteufelswild werden und im nächsten Moment wieder mit den Kids scherzen. „Ferdi halt.“

Nun habe uns unser „Schmuckstück“ Ferdi verlassen, so Dellmans, und sicher höre man bald von oben: „Kempen wird zugemacht.“ „Nein, Ferdi. Wir halten Kempen offen“, so der Bürgermeister. „Und wir halten dich in unserer Erinnerung und in unseren Herzen. In Trauer, aber auch voller Respekt und Hochachtung verneigen wir uns vor einer Kempener Persönlichkeit, einem Menschen, der trotz seiner Einschränkungen oder vielleicht gerade deswegen, tiefe Spuren hinterlässt.“

Auch Pfarrer Wolfgang Acht beschrieb, dass es schwer sei, von Ferdi Abschied zu nehmen. „Ich möchte ihm danken für sein Engagement, für seine Art mit uns umzugehen, sich durch Kempen zu bewegen, ein Kempener Original zu sein.“ Nun könne er zur Ruhe kommen und sich erholen, von dem, was er sein Leben lang durchgestanden und ermöglicht hat. Auf „seinem Friedhof“ an der Berliner Allee, den Ferdi schon zu Lebzeiten so oft besuchte, findet er nun diese Ruhe. Und von seinem Grabstein schaut er uns als Männeken von Jürgen „Moses“ Pankarz mit seinem typischen Lächeln entgegen.