Auf dem Jakobsweg in ein neues Leben

Nach dem Tod seiner Frau hat Klaus Reinhold eine Pilgerreise gemacht, um der Einsamkeit zu entfliehen. Über seine Erlebnisse hat er ein Buch geschrieben. Am 18. März liest er daraus im Sylter Eiscafé in Kempen.


Da war es, was er sich kurz zuvor gewünscht hatte: ein Herz. Groß und zweifarbig. Es prangt mitten an einer Hauswand in einer Gegend, in der sonst keine Graffiti zu sehen sind. Für Klaus Reinhold war dies das letzte Zeichen, das er noch gebraucht hat, um sicher zu sein: Kirsten begleitet ihn. Auf seiner Reise gab es immer wieder solche Momente, in denen er glaubte, dass er so viel Glück gar nicht haben kann. Dass eine höhere Macht im Spiel sein muss. Als er zum Beispiel dringend einen Platz zum Übernachten brauchte und als es schon aussichtslos erschien, lernte er in der Kirche die ältere Dame kennen, die ihn mit zu sich nach Hause nahm. Und immer wieder diese Herzen, als Wolken, an Bäumen und Zäunen. Für ihn waren das Zeichen.
Dabei ist Klaus Reinhold nicht gläubig. An Übersinnliches hatte er bis dato nicht viele Gedanken verschwendet. Wer sich mit ihm unterhält merkt, dass er eher der sachliche, bodenständig nüchterne Typ ist. Wie auch immer man es nennen mag, was ihm da passiert ist, Schicksal, Karma oder einfach nur Glück. Für Klaus Reinhold war es ganz sicher Kirsten, die ihn auf seiner langen Pilgerreise auf dem Jakobsweg begleitet und so manche Dinge zum Guten gewendet hat. „Ganz oft, wenn ich mir etwas gewünscht habe oder um Hilfe gebeten habe, ist anschließend etwas passiert. Auch wenn meine Situation zuvor auch noch so ausweglos erschienen ist“, sagt der 57-Jährige.
Sie war auch der Grund, warum er überhaupt diese Pilgerreise von Trier bis nach Santiago de Compostela angetreten ist. Ihr Tod 2017 hat Klaus Reinhold in eine tiefe Depression stürzen lassen. Er konnte nur noch schlecht alleine sein, war rastlos und immer unterwegs. „Wenn ich gerade von einer Reise zurückgekommen bin, hatte ich das Gefühl, ich müsse sofort wieder von zu Hause weg. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich ohne meine Seelenverwandte machen sollte. Die Einsamkeit war unerträglich“, erinnert sich der Rentner. Gemeinsam mit einem Freund entwickelte er die Idee von der Pilgerreise. Die beiden brachen ihren Trip aber nach nur einer Woche ab. „Ich war fix und fertig. Meine Füße haben noch nie so weh getan. Ich bin abgereist und habe mir geschworen, so etwas nie wieder zu machen“, so der Pilger.
Eine innere Stimme sagte ihm immer wieder, dass er diese Pilgerreise vollenden muss. Und so wagte er am 11. Juni 2019 einen zweiten Versuch. Entgegen aller Ratschläge seiner Ärzte – denn er ist Diabetiker und hat Arthrose – brach er mit seinem 19 Kilo schweren Rucksack zu der 2450 Kilometer langen Reise auf, die sein Leben ein weiteres Mal komplett verändern sollte. 25 Euro hat er pro Tag für Unterkunft und Verpflegung eingeplant. Und schon zu Beginn der Reise in Frankreich wurde er vor große Herausforderungen gestellt. Denn die Franzosen sind nicht so auf Pilger eingerichtet, wie es später in Spanien der Fall war. Die Anzahl der Pilger dort ist kleiner. Entsprechend gibt es wenige Unterkünfte und die Hotels sind teuer. „Immer, wenn ich dachte ich muss auf der Straße übernachten, habe ich in der Kirche oder einem Café jemanden kennengelernt, der mich zu sich nach Hause eingeladen hat. Als hätte der Himmel mir jemanden geschickt“, sagt er. So war es auch, als ihm irgendwann die Füße so schmerzten, dass er ein Stoßgebet an seine Frau richtete: Bitte lass es hier irgendwo eine Massage geben. „Prompt habe ich kurze Zeit später im Café einen Deutschen kennengelernt, der zwei Jahre in Asien die asiatische Heilkunde kennengelernt hat und Thaimassagen machen konnte. Er hat mir die Füße massiert. Das war schon etwas verrückt. Aber das alles kann auch kein Zufall gewesen sein“, sagt er.
Eigentlich wollte Klaus Reinhold seine Erlebnisse und Begegnungen handschriftlich in einem Tagebuch festhalten. Schließlich hat er sich dagegen entschieden und stattdessen bei Facebook ein Reisetagebuch verfasst. Die Zahl seiner Follower stieg mit jedem Tag seiner Reise, was ihn selber am meisten überrascht hat. „Auch ein Pilgerverein ist auf mich aufmerksam geworden. Von ihnen kam letztendlich auch die Idee, aus meinen Berichten ein Buch zu machen“, sagt der Pilger. Das hat er schließlich getan. Ein großes und wichtiges Projekt für ihn. Das erste Nach-vorne-schauen, seit Kirsten gestorben ist. Im vergangenen Jahr ist er dann mit einem umgebauten VW-Bus seine Pilgerroute erneut abgefahren und hat die Wegbegleiter und Helfer von damals besucht und ihnen ein Exemplar seines Buches überreicht. Im Sommer wird er eine Pilgerherberge betreuen und viele Menschen kennenlernen, die aus den unterschiedlichsten Gründen pilgern. „Auf all diese Begegnungen und Geschichten freue ich mich sehr“, sagt er. Denn vielleicht kann er mit einem offenen Ohr dem einen oder anderen Verzweifelten ein bisschen helfen. So wie man ihm geholfen hat. Und bis es soweit ist, geht er mit seinem Buch auf Lesereise quer durch die Republik und Österreich.
Text: Nina Mützelburg, Fotos: Patrick van der Gieth, Klaus Reinhold, by-studio – stock.adobe.com

Die Lesung
Am Freitag, 18. März, liest Klaus Reinhold aus seinem Buch im Sylter Eiscafé, Burgstraße 13–15, in Kempen. Einlass ist um 19 Uhr, Beginn ist 19.30 Uhr. Der Eintritt ist frei, Karten können im Eiscafé geholt werden.