Essen – wichtig für Körper und Seele

Besonders in der kalten Jahreszeit, wenn uns der Winter ohnehin nostalgisch stimmt, kann gutes Essen Seelenfutter sein. Das gilt auch an der Oelstraße in der Kempener Altstadt, wo im Kinderheim St. Annenhof täglich mehr als 100 Menschen mit leckeren und gesunden Gerichten versorgt werden. 

Ulrike Gerards

Es gibt Gerüche und Geschmäcker, die wie eine Zeitmaschine wirken. Die eine versetzt ein Löffel vom cremigen Milchreis mit etwas Zimt zurück in Mamas Küche. Für den anderen entsteht beim würzigen Geruch von gebratenen Zwiebeln und Hackfleisch sofort ein Bild von selbstgemachten Frikadellen, die immer ein wenig besser geschmeckt haben, wenn Oma sie gemacht hat. Essen ist mehr als bloße Nahrungsaufnahme – es ist ein Schlüssel zu längst vergangenen Momenten. Und natürlich liegt auch der Schlüssel zu einem gesunden Leben nicht zuletzt in einer guten Ernährung.

Im Kempener Kinderheim St. Annenhof hat das Essen ebenfalls eine hohe Bedeutung. 101 Kinder werden hier Tag für Tag versorgt. „Wir haben uns bewusst für eine eigene Küche entschieden, auch wenn das teurer ist als das Essen von einem Caterer kommen zu lassen“, so Verwaltungsleiter und stellvertretender Einrichtungsleiter Peter Fischer. Eine ausgewogene Ernährung anzubieten, ist wichtig – aber es geht auch noch um so viel mehr. 

Früher Traumschiff, heute Annenhof

Chef der Annenhof-Küche ist Dirk Wellmanns. Bevor er vor acht Jahren zum Kempener Kinderheim an der Oelstraße in der Altstadt kam, hatte er fast 17 Jahre lang im Hotel Krefelder Hof und davor auf der MS Deutschland, dem aus dem TV-bekannten Traumschiff, auch für einige Promis gekocht. Im Annenhof ist die Arbeit eine andere. Ohne Chichi auf dem Teller, keine Schäumchen und Türmchen von irgendwas, wie er sagt. Aber gekocht wird trotzdem nicht mit weniger Engagement und Begeisterung, das merkt man dem Küchenchef gleich an. 

Schon auf dem Schiff und im Hotel hat er den Kontakt zu seinen Gästen gesucht. Das hält er auch im Annenhof so. „Ich versuche, mir immer Zeit für die Kinder zu nehmen“, sagt er. Das Feedback ist ehrlich. „Man kann nicht immer jeden Geschmack treffen – für 100 Kinder ist das so gut wie unmöglich“, so der Koch. Aber man kann mit Begeisterung kochen, saisonale Gerichte wählen, gute Zutaten verwenden. Gesund muss es auch sein. Aber einmal im Monat gehören für Dirk Wellmanns auch Pommes auf den Tisch. 

In einen Briefkasten an der Küchentür können die Kinder Wünsche für Gerichte einwerfen. Manchmal schlagen die Kinder auch etwas Ausgefallenes vor, was sie von zu Hause kennen. Spaghetti mit Frischkäse war der Wunsch eines Mädchens und die Zubereitung hatte sie Dirk Wellmanns genau erklärt. Der Zettel hängt noch in seinem kleinen Büro. Zusätzlich wurde aber auch noch Bolognese-Sauce serviert. 

Wenn es draußen kalt ist, tischt Dirk Wellmanns gerne Deftiges auf. Suppen und Eintöpfe sind im Herbst und Winter angesagt. Kürbissuppe und Rindfleischeintopf kommen bei vielen Kindern gut an. Wenn es auf Weihnachten zugeht, darf das Essen auch festlicher werden. Wie Gulasch mit Rotkohl oder Spätzle. Ein Klassiker aus der Küche sind die Püfferchen, die bei der feierlichen Tannenbaum-Illumination gereicht werden. 

Am beliebtesten sind bei den Kindern Klassiker wie Pommes und Currywurst, Nudeln Bolognese und Kartoffelpüree. Kaiserschmarrn ist immer ein Renner, 36 bis 40 Kilogramm Teig werden dann verarbeitet – ohne Rosinen versteht sich. Dann fängt Dirk Wellmanns schon morgens an zu backen. „Das ist schon ein Aufwand und die Kinder stehen dann Schlange.“ Auch Bratkartoffeln – ein Favoriten-Gericht des Kochs selbst – kommen bei den Kindern gut an. Dann werden rund 30 Kilogramm Kartoffeln benötigt. Oft sind es einfache Gerichte, die überzeugen. Daher kommt dann auch schon mal bei der Feier zur Erstkommunion der Wunsch nach Tortellini à la Panna mit Gurkensalat. „Ich sag dann: ‚Das ist dein Tag, wenn du dir das wünschst, machen wir das‘“, so der Koch. 

Nachhaltigkeit ist in der Annenhof-Küche ein großes Thema. Weggeworfen wird so wenig wie möglich. Bleiben Abschnitte von Gemüse oder Fleisch übrig, macht der Koch davon Brühe, die er dann für seine Gerichte zum Würzen nutzen kann. Fertige Pülverchen gibt es bei ihm nicht. 

Die Wohngruppen, die nicht direkt an der Oelstraße untergebracht sind, holen das Essen in der Küche ab. In beheizten Warmhalteboxen bringen dann oft auch die Kinder ihre Portionen selbst mit einem Wägelchen in ihre Gruppen. Nicht nur essen, auch kochen macht Spaß. Und so bietet Dirk Wellmanns für die Kinder immer wieder auch Kochkurse an, in denen dann gemeinsam zum Beispiel Pizza oder Nudeln selbst gemacht werden. Dann wird der Teig geknetet, durch die Maschine gedreht und zu leckeren frischen
Tagliatelle geformt. Dem Annenhof-Team ist es wichtig den Kindern zu erklären, wo ihr Essen herkommt. „Wir haben einen Erzieher mit Kontakt zur Landwirtschaft. Er geht mit den Kindern auch mal aufs Feld, wo sie selbst die Kartoffeln ernten, anschließend schälen und Pommes machen“, erzählt Peter Fischer.

Wie in vielen Haushalten ist die Küche auch im Annenhof eine Kommunikationsschnittstelle. Der Koch hat sich hier eine Vertrauensposition erarbeitet, bemerkt Peter Fischer: „Kinder erzählen ihm dann auch mal was, was sie loswerden, aber in der Gruppe nicht erzählen möchten.“ 

Am Wochenende und an den Feiertagen kochen die Gruppen ihre Gerichte selbst. In allen Gruppen gibt es eine eigene Küche. So wie in der Theresiengruppe, in der gerade noch die letzten Kinder das Gericht des Tages, Putengyros mit Pommes und Salat, genießen. Neun Kinder zwischen sechs und 14 Jahren gehören zur Gruppe. Dort hat man die Frage nach dem Festessen zu Weihnachten schon geklärt. „Die Kinder haben sich Raclette gewünscht“, erzählt Erzieherin Brigitte Frenzen. Im vergangenen Jahr wurde zusammen Sauerbraten und Schweinebraten zubereitet. Mit Rotkohl und Klößen – die sind bei den Kindern der Theresiengruppe im Winter eh hoch im Kurs. Plätzchen backen gehört im Advent natürlich ebenso dazu. Große Mengen werden dann gebacken, damit sie auch bis Weihnachten reichen. 

„Jedes Kind führen wir hier ans Essen heran und sie probieren auch mal was, was sie nicht kennen“, sagt Brigitte Frenzen, die sich freut, dass die Kids offen und neugierig sind. Mal kommt der Input über unterschiedliche kulturelle Hintergründe, mal sehen die Jungen und Mädchen was auf der Videoplattform TikTok und bekommen dadurch Ideen für kreativen Nachtisch. 

Advent und Weihnachten sind eine Zeit, die mit vielen Gefühlen verbunden ist. Für die Kinder im Annenhof nicht immer leicht. „Die Kinder wissen, dass hier ihr zweites Zuhause ist und sie hier ihre Emotionen rauslassen dürfen“, erzählt Brigitte Frenzen. „Über das Essen entstehen Gespräche, Erinnerungen kommen hoch und dann reden wir darüber. Die Kinder hören sich zu.“ Das Essen weckt Erinnerungen.Wer kennt das nicht? Und das gilt schon bei den Kleinen. Nicht nur, aber besonders in der Vorweihnachtszeit.